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Sonntag, 30. Juni 2013

No Hate

Gelegentlich merkt man in seiner eigenen Durchschnittlichkeit - mittleres Alter, Mittelklasse, zwei Kinder - gar nicht mehr, dass es durchaus noch Kampagnen gibt, hinter die man sich klemmen muss. Und das, auch wenn man selbst gar nicht "betroffen" ist. Aber in was für einer Welt leben wir, dass essentielle Rechte einem Teil der Bevölkerung nicht gewährt werden? Wie zum Beispiel das Recht, in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zu leben. Irland ist, wie viele andere Länder der Welt, immer noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem Homosexuelle und Heterosexuelle komplett gleichgestellt sind.

Ich bin lange genug in Irland, um mich gar noch an das Jahr zu erinnern, in dem Homosexualität dekriminalisiert wurde - das war erst 1993 der Fall. Seit dem ist man einen langen Weg gekommen, und seit 2010 ist auch die eingetragene Lebensgemeinschaft für Homosexuelle in Irland möglich. Doch leider ist das nicht wirklich dasselbe wie eine Ehe - Kindern einer homosexuellen Partnerschaft wird beispielsweise nur eine rechtliche Verwandtschaft mit ihrem biologischen Elternteil zugestanden. Die staatlichen Unterstützungen, die Ehepartnern gewährt werden, werden den Partnern einer homosexuellen Lebensgemeinschaft nicht gegeben. Und allein die Wortwahl, mit der man bei einer heterosexuellen Ehe von einem "Familienheim" (family home) spricht, während es bei einer eingetragenen Lebensgemeinschaft "gemeinsam genutztes Haus" (shared home) heißt, spricht Bände.
Dabei ist die irische Bevölkerung mit großer Mehrheit für die komplette Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften: 73 Prozent der Iren sind dafür, die gleichgeschlechtliche Ehe innerhalb der irischen Konstitution genauso zu verankern, wie die herkömmliche Ehe (aktuelle Statistik von 2013).

Anlässlich des Gay Pride-Umzugs wurde gestern ausgiebig auf den Dubliner Straßen demonstriert und gefeiert. Ich war dieses Jahr nicht dabei. Dafür habe ich heute meine Pflicht und Schuldigkeit getan und mich mit meinem Gesicht meiner Visage einer öffentlichen, weltweiten Kampagne angeschlossen. Unter dem Motto NOH8 - No Hate - Kein Hass fotografiert der US-amerikanische Fotograf Adam Bouska Prominente und Normalsterbliche für sein kontinuierliches Fotoprojekt. Die Porträts sind in ihrer Gleichförmigkeit aussagekräftig genug: Die "Modelle" tragen alle ein weißes Oberteil. Auf einer Wage haben sie das einprägsame NOH8 Logo als Tattoo, während ihr Mund mit einem breiten, silbernen Klebeband geknebelt ist.

Der Shoot war kurz und schmerzlos. Vor einem weißen Hintergrund gestellt, knipste Bouska in schneller Folge zackzackzack zehn bis zwanzig Porträts von mir in verschiedenen Posen. Mal mit Hand kokett an der Sekretärinnenbrille, mal mit japanischer "Smile" Handgeste, mal gekreuzten Fingern vorm verklebten Mund. Ein nachbearbeitetes Bild wird jedem Teilnehmer später zur Verfügung gestellt. Ich bin gespannt, was dabei herausgekommen ist. Ein Spaß war es auf jeden Fall, allein um schon einmal hinter die Kulissen eines solchen offenen Shoots zu schauen. Ich kann mich jedenfalls jetzt in guter Gesellschaft wähnen - zu den prominenten Modellen der NOH8-Kampagne gehören unter anderem auch Original-Raumschiff Enterprise-Schauspieler George Takei, US-Talk-Legende Larry King und Weltstar Liza Minelli. Und David Hasselhoff. Ahem.


Samstag, 9. Februar 2013

Beichte

Es fällt mir schwer, mein Gastland zu kritisieren. Nunja, die Kleinigkeiten des Alltags, über die macht man sich schon schnell mal lustig. Die Laberei der Iren. Die zu lockere Einstellung zu Alkohol. Der flexible Zeitbegriff. Doch wenn es um die kontroverseren Eigenheiten der irischen Geschichte geht, dann bin ich doch zwiegespalten zwischen meiner Liebe für das Land, das mir zur Heimat geworden ist, und der Fassungslosigkeit, die mich angesichts mancher historischen Grausamkeiten überkommt.

Dabei schlage ich mit meiner Kritik in eine Kerbe, die Iren selber bereits geritzt haben. Die Macht und die "Regierung" der Kirche haben in diesem Land tiefe Narben hinterlassen. Das Unrecht und die grauenhaften Verbrechen, die im Namen von Religion hier begangen worden sind, sind geradezu zahllos und werden immer noch aufgearbeitet. Derzeit geht es wieder um die unaussprechlichen Grausamkeiten der katholischen Kirche gegenüber unverheirateten Müttern. Das Unrecht, das den Frauen widerfahren ist, lässt sich niemals wieder gut machen: Bis in die 80er Jahre hinein wurden junge Mädchen, die schwanger waren, in die "Obhut" kirchlicher Orden gegeben. In den so genannten Magdalen Laundries lebten die Frauen unter der Aufsicht von Nonnen, arbeiteten in der angeschlossenen Wäscherei und erhielten zunächst Obdach, wenn sie wegen einer Schwangerschaft von ihren Familien verstoßen worden waren. Doch waren die Babies erst einmal geboren, wurden sie den Frauen gegen ihren Willen nach kurzer Zeit entrissen und zur Adoption freigegeben. Und das ohne Einwilligung der (oft minderjährigen) Mütter und ohne die Möglichkeit, ihre Kinder jemals wiederzufinden.

Diese Tatsachen wurden in verschiedenen Untersuchungskommissionen zusammengetragen und veröffentlicht. Die Empörung der Öffentlichkeit war groß. So groß, dass eine Entschuldigung eingefordert wurde und die Kirche quasi zu Kreuze kriechen musste. Und doch gelingt es den kirchlichen Institutionen, die verantwortlich für das Leid zahlloser Frauen, Kinder und Familien sind, sich nach wie vor aus der Affäre zu lavieren. Statt klipp und klar ihre eigenen Fehler einzugestehen, werden lasche und lapidare Erklärungen abgegeben. "Es tut uns leid, dass die Frauen unsere Beihilfe nicht als positiv empfunden haben", heißt es da sinngemäß. Was für ein Schlag ins Gesicht für die Frauen, deren Leben nicht durch die Schwangerschaft zerstört wurde, sondern durch die menschenverachtende Behandlung und Entmündigung durch eine Kirche, die mit überkommenen Moralvorstellungen Frauen zu Sünderinnen abstempelte und Hilfe versagte.

Wie gut, dass es wenigstens einige Prominente gibt, die sich nicht zu schade sind, ihre Meinung öffentlich zu machen.  Das Geringste, was man den Opfern der Kirche heute zugestehen kann, ist eine klare Entschuldigung der Verantwortlichen, ohne Ausflüchte und ohne Schuldzuweisung an Dritte. Und eine klare Stellungnahme der irischen Regierung, die dafür sorgen muss, dass menschenrechtsverletzende Behandlung wie die durch die Kirche in Zukunft nicht mehr vorkommen! Doch darauf können wir wohl noch lange warten.

Im Herzen betreffen diese Fälle uns alle, die wir in diesem Land leben, egal ob katholisch oder nicht, egal ob Christ oder nicht.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Sturm im Kaffeebecher

Nationalstolz haben sie ja, die Iren. Und vor allem, wenn sie in einen Topf geworfen werden mit ihren nächsten Nachbarn, den Briten. Dann gibt es aber einen Sturm im Wasserglas. Oder vielmehr im Kaffeebecher, so wie gestern. Anlass im weitesten Sinne war das 60-jährige Thronjubiläum der britischen Königin. Nicht, dass das in Irland besonders zur Kenntnis genommen wird. Nein, das ist man sich nach jahrhundertelangem Freiheitskampf schuldig, die Nationalitätsbekundungen des Nachbarstaates ausdrücklich zu ignorieren. Und das trotz des extrem erfolgreichen ersten Besuches der Monarchin in ihrer Ex-Kolonie im vergangenen Jahr.

Nun begab es sich aber gestern, dass eine weltweit agierende Kaffeehauskette mit vage maritimen Logo, einen peinlichen Faux-pas landete: Ausgerechnet im irischen Twitter-Stream des Koffein-Dealers erschien eine Sonderangebotsmeldung zum Thronjubiläum mit der Aufforderung dem Unternehmen zu zeigen "was einen stolz macht, ein Brite zu sein". Autsch! Der Sturm im Kaffeebecher nahm Orkanausmaße an - immerhin ist man schließlich ein souveräner Staat. Und das seit 1949! Das Unternehmen brauchte tatsächlich mehrere Stunden, um mit werberischer Diplomatie auf den Missgriff zu reagieren, und postete immerhin am Spätnachmittag eine offizielle Entschuldigung über den Twitter-Äther.

Nicht, dass es auch noch wichtigere Sachen in Irland gäbe: die Ergebnisse des Volksentscheids von vergangener Woche zum Thema Finanzvereinbarungen; die sukzessive Weigerung Deutschlands, die Finanzverbindlichkeiten von Irland nach Volksentscheid im deutschen Sinne nun zu erleichtern; die andauernde Massenemigration... Aber die souveräne Abgrenzung zum allübermächtigen Nachbarstaat ist eben wichtig. Gut, angesichts jahrhundertelanger Unterdrückung ja auch irgendwie zu verstehen...

Da bleibt nur eines: Man distanziere sich von Großbritannien und trinke seinen Kaffee in Zukunft nur noch bei einer irischen Kaffeehauskette. Die haben sowieso die passenderen Kaffeebecher. Guten Abend.

Dienstag, 27. März 2012

Frauen leiden gern

Für Geld machen wir alles. Naja, nicht wirklich alles. Obwohl ich mich heute doch ein wenig für Geld prostituiert habe. Zumindest kam es mir fast so vor: Kontaktfreudig und mitteilsam wie ich nun einmal bin, stehe ich bei verschiedenen Umfragefirmen auf dem Verteiler. Eine davon lud mich zu einer Diskussionsrunde zum Thema "Einkaufen" ein, nachdem ich mich nach Ausfüllen eines Fragebogens als gewünschte Zielgruppe der Kundenbefragung bewiesen hatte: weiblich, über 30 *ähäm*, verheiratet, Kinder, Entscheidungsträgerin mit Schwerpunkt Lebensmitteleinkauf. Bei 40 Euro für eine Stunde aus dem Einkaufskörbchen plaudern sind wir ja gerne mit dabei...

Neun Frauen kamen zusammen - alle etwa gleich alt und zum größten Teil als Hausfrau oder nur Teilzeit-Verdiener arbeitend. Von Herkunft, Wohnort und Haarfarbe hätten wir alle gar nicht unterschiedlicher sein können, aber in einem waren sich alle einig und ähnlich: Die Rezession betrifft uns in unserem Leben alle sehr empfindlich. Von neun anwesenden Damen waren sieben durch Arbeitslosigkeit in der Familie betroffen - entweder selbst oder des Ehemannes. Kaum eine, die sich leisten kann, ohne Nachdenken im Supermarkt den Wocheneinkauf zu erledigen. Das hat mich doch sehr erschreckt, auch wenn es für mich selber schon seit Jahren so Gewöhnung und Routine ist.

War es vor fünf Jahren noch ehrenrührig bei Lidl oder Aldi einzukaufen - Originalzitat einer Frau aus der Runde: "Vor fünf Jahren dachte ich, bei Lidl kaufen nur Osteuropäer ein." - so sind die deutschen Discounter hier mittlerweile fest auch bei der irischen Bevölkerung etabliert. "Buy Irish"? Ja, gerne - aber diesen Luxus können wir uns nicht gönnen. Solange irische Produkte teurer als vergleichbare Artikel in den Discounter sind, greifen die Irinnen auf die günstigere, ausländische Variante zurück. Da ist uns auch die CO2-Bilanz des peruanischen Spargels und der im Marokko gepulten Krabben bananenegal. Letztere müssen ja sowieso aus Costa Rica hier eingeflogen werden.

Über die Repräsentativität von Umfragen und Statistiken kann man ja immer streiten. Für mich war die Teilnahme an dieser Marktforschungsrunde dennoch erhellend: Eine bunt zusammen gewürfelte Truppe, die im wesentlichen aber doch einhellig die Auswirkungen der Rezession in Irland bestätigt, nämlich einen Rückgang des Lebensstandards, verbunden mit Existenzängsten und Verzicht zu Gunsten von "bleibenden" Gütern wie Bildung. Nur eine Frage wurde nicht gestellt - und das wäre eigentlich die folgerichtigste gewesen: Wenn es euch allen so schlecht geht, warum kommt ihr dann mit eurem Hintern nicht hoch und protestiert??? Der Leidensdruck ist wohl doch nicht groß genug. Oder Frauen leiden gern?

Sonntag, 30. Oktober 2011

Trampled Underfoot

Eigentlich wollte ich euch heute morgen in gewohnt ironisch-distanzierter Art über die Ergebnisse der irischen Präsidentenwahl informieren. "Nur noch eben kurz zum News Agent gehen und eine Sunday Times kaufen", dachte ich mir. Und dann hatte ich ein kleines Erlebnis, das die Verhältnisse in diesem Land auf ganz andere Art und viel eindringlicher beleuchtet, als es ein Kommentar zur Wahl von Michael D. Higgins zum neunten Präsidenten der irischen Republik täte.

Ich war wie gesagt auf dem Weg zum Shop um die Ecke. Schon auf dem Weg zum Laden war mir ein junger Mann aufgefallen, der mir entgegenschlenderte und mich zaghaft angelächelt hatte. Ich dachte mir nichts dabei - außer dass ich vermutlich unwiderstehlich gut aussehen müsse, wenn mich junge Männer anlächeln.

Mit meiner Zeitung unter dem Arm trat ich kurz darauf wieder aus dem Laden heraus. Und kaum drei Schritte gegangen, kam mir der junge Mann von vorher wieder entgegen. Als wir auf gleicher Höhe waren, sprach er mich an. Ich dachte, es handle sich um einen Touristen, der mich nach dem Weg fragen wolle, und stöpselte meine Kopfhörer aus den Ohren. Er konnte mir kaum in die Augen gucken, lächelte schüchtern-traurig und sagte dann sehr leise, fast tonlos: "Hallo, es tut mir wirklich leid, dich ansprechen zu müssen. Aber ich bin in einer schwierigen Lage. Ich habe kein Geld und ich brauche etwas für eine Obdachlosenherberge heute nacht. Kannst du mir helfen?"

Die Zeiten sind schlecht. Auch ich bin bei weitem nicht so finanziell sorglos wie ich das vor drei Jahren gewesen bin, in den Vor-Crash-Zeiten. Und doch griff ich ohne zu überlegen in meine Handtasche und zog aus meinem Portmonnee einen Fünf-Euro-Schein und reichte ihn dem jungen Mann. Er blickte mich überrascht an. "Bist du sicher?" Ich nickte. "Wirklich?" "Ja, klar." Er sah mir in die Augen und meinte "Du hast gerade meinen Tag gerettet. Du bist die erste, die überhaupt stehen bleibt, um mich anzuhören. Ich danke dir." Ich wünschte ihm noch viel Glück und ging dann weiter.

Vielleicht bin ich naiv und lasse mich einfach übers Ohr hauen. Möglicherweise ist der junge Mann ein guter Schauspieler und hat einen Trick gefunden, wie er weichherzigen Frauen im mittleren Lebensalter die Penunzen aus der Tasche ziehen kann. Und fünf Euro sind heute für mich durchaus Geld, das ich nicht unüberlegt rauswerfe. Aber in diesem Moment waren sie für mich nur die Zahl auf einem Stück Papier. Denn ich habe so viel anderes, das unbezahlbar wertvoll ist, und dieser junge Mann hat das nicht. Nirgendwann anders als heute war mir das je so klar. Meine Eltern befinden sich zur Zeit zu Besuch bei mir. Sie haben mir zum Geburtstag, der demnächst ansteht, ein Geschenk mitgebracht, das ein Vielfaches der fünf Euro kostet, die ich dem jungen Mann gegeben habe. Geld? Schall und Rauch! Familie, Freunde und ein Dach über dem Kopf: Das ist Alles! Wie leicht es einem fällt, sich von (ein bisschen) Geld zu trennen, wenn einem das wieder einmal bewusst wird.

Und erst recht, wenn gleichzeitig auf dem iPod gerade ein Lied namens "Trampled Underfoot" läuft, wie passend (mal ansonsten von den Lyrics abgesehen)! Auf mir trampelt niemand herum, deswegen kann ich jemandem, der von den Umständen des Lebens offenbar ganz anders betroffen ist als ich, wenigstens so aushelfen. Und ich habe nicht nur ihm den Tag gerettet, sondern er auch mir - denn die Perspektive ist mal wieder gerade gerückt worden. Danke.

Samstag, 22. Oktober 2011

Präsidentenwahl

Nun geht es in die heiße Phase! In knapp einer Woche findet die irische Präsidentenwahl statt. Nach 14 Jahren Mary McAleese muss das irische Volk sich einen neuen Repräsentanten wählen. Und das scheint für Überraschungen zu sorgen.

Während der irische Präsident genauso wie in Deutschland weitestgehend nur repräsentierend wirkt (mal abgesehen vom obligatorischen "Kaiser Wilhelm" unter neuen Gesetzen - vereinfacht gesagt), wird der erste Mann/die erste Frau der Poblacht na hEireann im Gegensatz zu unseren deutschen Wahlgesetzen hier per direkter Wahl ermittelt. Keine Bundesversammlung aus bunt zusammengewürfelten öffentlichen Würdenträgern, Sportlegenden, örtlichen Honoratioren und politischen Big-Wigs - direkte Demokratie, per  Wahl.

Das Feld ist weit gestreut, da werden alle politischen Farben abgedeckt. Naja, fast alle, denn die ehemalige Regierungspartei Fianna Fail (mehr oder weniger verantwortlich für den Zusammenbruch des Landes nach 2008 - jaja, gaaaaanz verallgemeinernd gesagt!) hat keinen alten Parteisoldaten bereit gestellt. Da hatte man sich wohl von vornherein keine Chancen ausgemalt, den Präsidenten aus den eigenen Reihen zu bestellen. Lediglich ein vor Jahren mal mit der Partei verbundener Kandidat wurde aufgestellt. Und der scheint nun das Rennen zu machen: Sean Gallagher ist bei weitem der jüngste der sieben Kandidaten - ein Self-made Businessman, dessen Name in Irland weit bekannt ist, da er in einer Fernsehshow mitgewirkt hat, bei der Erfinder und potentielle Unternehmer ihre Geschäftsideen vorstellen und eventuelle Finanzpartner finden. Den letzten Umfragen zu Folge hat Gallagher 40 Prozent der Wählerschaft hinter sich. Erstaunlich! Ich hatte ihn als einen chancenlosen Außenseiter eingeschätzt - aber ich bin eben auch keine Irin *grins*...

Mehr Chancen hatte ich da schon Michael D. Higgins gegeben. Der verkörpert nunmehr den Typus des "Elder Statesman". Irischer Präsident - das wäre so die Krönung eines jahrzehntelangen Aufreibens in der irischen Politik. Higgins ist Sozialdemokrat und vertrat die irische Labour Party in den Achtziger und Neunziger Jahren im Parlament. Unter anderem war er zudem Kultusminister. Und ist ein netter älterer Herr, kultiviert und weltgewandt - genau richtig für einen Präsidentenjob?!

Dabei habe ich es mit etablierten Politikern ja nicht so - und schon gar nicht mit dem Kandidaten der Regierungsparteil Fine Gael. Gay Mitchell steht für diese im Rennen. Wird aber bereits in den Prognosen von der Bevölkerung für die Larifari-Attitüde seiner Partei abgestraft. Der wird's nicht werden.

Ein interessanter Außenseiter ist David Norris. Eine wahre schillernde Figur - ehemaliger Literaturprofessor und Joyce-Experte, Gay Rights-Aktivist, mit seinem anglo-irischen Hintergrund eher ein Minderheitenvertreter - und im Auftreten ein Exzentriker par excellence. Schade, dass sich Norris vor dem Hintergrund irgendeines Skandals in grauer Vorzeit während des Wahlkampfs als Kandidat zurückgezogen hatte, um dann wieder in das Rennen auf Aras an Uachtarain (das Präsidentenhaus) einzusteigen.

Wenn man in Irland einen Präsidenten wählt, braucht man nach den beiden letzten Vorgänderinnen Mary Robinson und Mary McAleese natürlich eine obligatorische Mary, die sich zur Wahl stellt. Die gibt es auch, und zwar Mary Davis, eine unabhängige Kandidatin, die auf Grund ihres Engagements für die Special Olympics in Irland Rang und Namen hat. Aber eine reelle Chance auf das Amt hat sie nicht. Drei Prozent sagen die Vorhersagen für sie voraus.

Genauso soll auch die letzte im Bunde abschneiden: Dana Rosemary Scallon. Ja, hier gibt es "all kinds of everything" - eine ehemalige Schlagersängerin und Grand Prix-Gewinnerin im irischen Weißen Haus? Wohl besser nicht, schon gar nicht bei ihrer ultrakonservativen Einstellung gegenüber Abtreibung und Scheidung.

Interessant wird es allemal werden - am Freitag dann mehr zu den Ergebnissen der Wahl.

Freitag, 20. Mai 2011

Königliche Schmerzen im Gesäß

Nein, nein *abwink*, kein Grund zur Bekundung von Besserungswünschen - mir geht es gut. Ich beziehe mich nur heute, aus aktuellem Anlass, auf den gegenwärtigen Aufreger der Stunde. Oder vielmehr "der Woche". Königinnenbesuch in Irland! Ein wahrhaftiger "Royal pain in the ass" - oder übersetzt "ein echtes Ärgernis".

Schon wo-chen-lang wurde in Irland über den bevorstehenden Besuch der britischen Monarchin diskutiert. Ob das nun gut ist, dass sich die beiden Nachbarinseln symbolisch durch den Besuch des britischen Staatsoberhauptes endlich nach 800 Jahren kontroverser Geschichte versöhnen. Nationalisten pochen darauf, dass die irische Insel wiedervereinigt werden muss. Monarchiefans freuen sich auf das bunte Windsor-Gucken. Und dem Großteil der Masse ist das Ganze einfach nur egal.

Mich kann man auch zu letzteren zählen - obwohl ich als absoluter Irland-Fan natürlich gaaaanz klar auf der Seite der von den Engländern unterdrückten Iren stehe. Aber bitte, kann man jetzt dann doch mal von alten, überkommenen Uralt-Rivalitäten abrücken und sich gemäßigt einer diplomatischen Linie zuwenden? Die jahrhundertelange Unterdrückung der Iren und der Kulminationspunkt Ostern 1916 (Freiheitskampf der Iren) sind doch schon längst kalter Kaffee. Soll sie doch kommen, die Lizzy, und hier die Völkerverständigung unterstützen.

Was mich allerdings an diesem ganzen Zirkus besonders gestört hat: Die Kosten eines Staatsbesuchs dieses Kalibers belaufen sich auf runde 25 Millionen Euro. Sicherheitsvorkehrungen, Organisation, Banketts und Veranstaltungen. Das wäre es mir nun wiederum nicht wert gewesen! Schon gar nicht in der aktuellen Lage Irlands, das täglich mit den IMF-Auflagen in Folge der ganzen Rezession zu kämpfen hat. Besuch von Königs: Was für ein (unnötiger) Luxus!

Ganz zu schweigen von den Umständen, die der Besuch den Iren macht. Schon Tage vor der Ankunft der Queen waren in Dublin ganze Straßenzüge gesperrt. Die irische Polizei war wochenlang mit der Überprüfung sämtlicher Gullys beschäftigt, um sicherzustellen, dass keine Bomben abgelegt wurden. Wenn das mal nicht anrüchig ist. Und dann kam mir der Queen-Besuch auch noch bei der Vorbereitung meiner Fotoausstellung in die Quere: Verkehrsbeeinträchtigung = weniger Besucher bei der Abschlussausstellung meines Fotokurses.

Heute endlich ist die Queen aus Dublin abgereist. Noch ist sie im Lande, fährt in den Süden der Republik. Aber wenigstens kann sich in Dublin jetzt wieder die Lage normalisieren. Ich selber haue auch ab - campen an der Westküste. Wenn wir schlau gewesen wären, wären wir schon am Vorabend der Queen-Visite abgehauen, dann hätten wir den ganzen Zinnober hier nicht mitmachen müssen! Ich freue mich schon auf die Rückkehr in ein normales Dublin - am Sonntag.

Samstag, 26. Februar 2011

Zahltag

So, heute ist der Zahl... äh... Zähltag. Gestern waren die Parlamentswahlen in der Inselrepublik. Heute wird ausgezählt. Da man hier ein extrem demokratisches Wahlsystem hat - es heißt Single Transferrable Vote - dauert die Auszählung mehr als einen Tag. Gesicherte Ergebnisse liegen erst am Sonntag vor, obwohl heute den ganzen Tag ausgezählt werden wird. (Beim single transferrable voting hat der Wähler zwar nur eine Stimme, er gibt aber auf dem Wahlzettel diese Stimme in Reihenfolge der von ihm präferierten Kandidaten an. Das heißt, man macht kein Kreuzchen, sondern schreibt eine Zahl hinter die Namen der Kandidaten. So bekommt beispielsweise Kandidat A eine 1, dann G eine 2, B eine 3, X eine 4. Zunächst werden dann alle 1er ausgezählt. Die Wahlzettel für diejenigen Kandidaten, die mit diesen "Erststimmen" nicht auf die erforderliche Zahl für einen Sitz gekommen sind, werden dann erneut ausgezählt, und zwar für die "Zweitstimme" usw. Somit kann man in Irland mit einer Wahlstimme gleich mehrere Kandidaten ins Amt hieven. Übrigens muss man das aber nicht machen. Man kann auch einfach nur eine 1 reinschreiben und es dabei belassen. Dieses System funktioniert übrigens nur in einer kleinen Demokratie, wie Irland sie ist. Für Deutschland wäre das wohl unpraktikabel - man müsste bei der Größe des Landes und der Zahl der Bundestagssitze dann wohl wochenlang auszählen...)

Nun habe ich leider keine Stimme in meiner Wahlheimat. Da stehen nämlich lasche € 950,00 davor. Diese müsste ich zahlen, um mich einbürgern zu lassen. Eine Frechheit angesichts der  Tatsache, dass ich nicht nur auf irischem Boden ein (halb-)irisches Kind herausgepresst geboren habe, mit einem Eingeborenen verheiratet bin und seit mehr als elf Jahren hier lebe . Und selbstverständlich genauso lange bereits meine Steuern hier bezahle.

Natürlich interessiere ich mich dennoch für die Politik meines Gastlandes. Mehr sogar als viele meiner irischen Freunde. Während eine Hälfte meines Freundeskreises aktiv in der Politik engagiert ist, zeigt sich die andere Hälfte restlos enttäuscht, frustriert und ratlos angesichts der politischen Entwicklung in Irland. Dabei ist es nirgendwo so einfach, Politikern während des Wahlkampfes auf den Zahn zu fühlen wie in Irland. Denn hier ist es üblich auf Wahlkampftour den Bürger direkt an der Haustür zu belästigen abzufangen. Im Vorfeld der Wahl sind die Wahlkampfteams wochenlang in den Wohngebieten von Tür zu Tür unterwegs. Die Kandidaten stellen sich persönlich den Wählern vor und bitten explizit um die Stimmen der Bürger. Auch die ganz hohen Parteitiere sind sich dazu nicht zu schade, wie eine Besucherin von mir bei der letzten Parlamentswahl selber erleben durfte.

K___ war zum Abendessen bei einer Bekannten auf der Nordseite Dublins eingeladen. Man hatte sich gerade dem Nachtisch zugewandt, als es an der Tür läutete. Der Hausherr öffnete und kam kurz darauf wieder, um K___ zur Tür zu bitten. Auf der Schwelle stand der damalige irische Premierminister Bertie Ahern, in dessen Wahlkreis sich K___ befand und der als bekannter Populist seine bürgernahe Nummer abzog. Nach ein paar Erinnerungsfotos mit dem ersten Mann Irlands versprach dieser dann K___, er werde am folgenden Wochenende bei einem anstehenden Deutschlandbesuch gerne auch Angela von ihr grüßen... Kein urbanes Märchen, sondern wirklich so passiert.

Zurück zur Parlamentswahl 2011. Die Auszählung läuft, und wir sind gespannt. Ein längst fälliger Wechsel steht ins Haus und nach ersten Ausblicken wird die mitte-rechts angesiedelte Noch-Regierungspartei Fianna Fail (auf Deutsch: "Die Soldaten des Schicksals") erdrutschartige Verluste einstecken müssen. Ihre politisch kaum anders orientiere Oppositionspartei Fine Gael ("Der Stamm der Gälen") dagegen legt zu, gemeinsam mit Labour. Auch der politische Arm der IRA, die Sinn Fein-Partei ("Wir allein") wird profitieren. Spannend wird werden, wie viele Unabhängige und Linkskandidaten ins Parlament einziehen dürfen.

Zeit zur Veränderung ist es auf jeden Fall.

PS: Die deutsche Nachrichtenanalyse ist jedenfalls schon mal extrem scharf. Lasst euch nicht von den englischen Untertiteln ablenken! Es ist alles gesagt!