Sonntag, 30. Juni 2013

No Hate

Gelegentlich merkt man in seiner eigenen Durchschnittlichkeit - mittleres Alter, Mittelklasse, zwei Kinder - gar nicht mehr, dass es durchaus noch Kampagnen gibt, hinter die man sich klemmen muss. Und das, auch wenn man selbst gar nicht "betroffen" ist. Aber in was für einer Welt leben wir, dass essentielle Rechte einem Teil der Bevölkerung nicht gewährt werden? Wie zum Beispiel das Recht, in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zu leben. Irland ist, wie viele andere Länder der Welt, immer noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem Homosexuelle und Heterosexuelle komplett gleichgestellt sind.

Ich bin lange genug in Irland, um mich gar noch an das Jahr zu erinnern, in dem Homosexualität dekriminalisiert wurde - das war erst 1993 der Fall. Seit dem ist man einen langen Weg gekommen, und seit 2010 ist auch die eingetragene Lebensgemeinschaft für Homosexuelle in Irland möglich. Doch leider ist das nicht wirklich dasselbe wie eine Ehe - Kindern einer homosexuellen Partnerschaft wird beispielsweise nur eine rechtliche Verwandtschaft mit ihrem biologischen Elternteil zugestanden. Die staatlichen Unterstützungen, die Ehepartnern gewährt werden, werden den Partnern einer homosexuellen Lebensgemeinschaft nicht gegeben. Und allein die Wortwahl, mit der man bei einer heterosexuellen Ehe von einem "Familienheim" (family home) spricht, während es bei einer eingetragenen Lebensgemeinschaft "gemeinsam genutztes Haus" (shared home) heißt, spricht Bände.
Dabei ist die irische Bevölkerung mit großer Mehrheit für die komplette Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften: 73 Prozent der Iren sind dafür, die gleichgeschlechtliche Ehe innerhalb der irischen Konstitution genauso zu verankern, wie die herkömmliche Ehe (aktuelle Statistik von 2013).

Anlässlich des Gay Pride-Umzugs wurde gestern ausgiebig auf den Dubliner Straßen demonstriert und gefeiert. Ich war dieses Jahr nicht dabei. Dafür habe ich heute meine Pflicht und Schuldigkeit getan und mich mit meinem Gesicht meiner Visage einer öffentlichen, weltweiten Kampagne angeschlossen. Unter dem Motto NOH8 - No Hate - Kein Hass fotografiert der US-amerikanische Fotograf Adam Bouska Prominente und Normalsterbliche für sein kontinuierliches Fotoprojekt. Die Porträts sind in ihrer Gleichförmigkeit aussagekräftig genug: Die "Modelle" tragen alle ein weißes Oberteil. Auf einer Wage haben sie das einprägsame NOH8 Logo als Tattoo, während ihr Mund mit einem breiten, silbernen Klebeband geknebelt ist.

Der Shoot war kurz und schmerzlos. Vor einem weißen Hintergrund gestellt, knipste Bouska in schneller Folge zackzackzack zehn bis zwanzig Porträts von mir in verschiedenen Posen. Mal mit Hand kokett an der Sekretärinnenbrille, mal mit japanischer "Smile" Handgeste, mal gekreuzten Fingern vorm verklebten Mund. Ein nachbearbeitetes Bild wird jedem Teilnehmer später zur Verfügung gestellt. Ich bin gespannt, was dabei herausgekommen ist. Ein Spaß war es auf jeden Fall, allein um schon einmal hinter die Kulissen eines solchen offenen Shoots zu schauen. Ich kann mich jedenfalls jetzt in guter Gesellschaft wähnen - zu den prominenten Modellen der NOH8-Kampagne gehören unter anderem auch Original-Raumschiff Enterprise-Schauspieler George Takei, US-Talk-Legende Larry King und Weltstar Liza Minelli. Und David Hasselhoff. Ahem.


Freitag, 28. Juni 2013

Selbstversuch

Ich könnte hier jetzt rumeiern und irgendeinen vagen Zusammenhang zwischen meinem heutigen Thema und der Tatsache, dass ich in Irland lebe, aus der Luft greifen. Tatsächlich ist es aber so, dass ich mir unbedingt schriftlich Luft machen muss - und dokumentieren, was ich die letzten sechs Tage getrieben habe. My blog - my castle, eigentlich sind die thematischen Auflagen ohnehin nur meinem eigenen Wunsch zum Austesten meiner Disziplin entsprungen. Aber gut, wenn es denn einen deutsch-irischen Unterton zu meinem Beitrag geben sollte, dann vielleicht den, dass ich mich als Deutsche gelegentlich mehr oder weniger gern der Eigendisziplin unterwerfe - denn disziplinarisch können uns die Iren nicht das Wasser reichen.

Anlass meiner Disziplinprobe war die Undiszipliniertheit des Winters und Frühlings. Ich hatte mir einige Pfunde angefressen. Die sollen runter. Doch trotz bester Vorsätze funktionierte meine übliche Geheimwaffe - WW in Kombination mit Bewegung - in diesem Jahr gar nicht. Das lag nicht an WW, sondern ausschließlich an mir. Irgendwie klappte es nicht, ich war zu faul, Diättagebuch zu führen, und aß regelmäßig mehr als das Programm vorsah. Mehrere Wochenendausflüge machten zudem alle Diätpläne zunichte - ich bestelle in einem Restaurant äußerst ungerne Salat.

Drastische Mittel waren gefragt. Und so entschloss ich mich spontan Anfang vergangener Woche, einmal eine dieser umstrittenen Radikalkuren auszuprobieren. Rational weiß ich selber, dass es ausgesprochen ungesund ist, sich mit Pillen und Pulver Speck abzuhungern. Für eine langfristige Gewichtsabnahme muss man sein Essverhalten grundsätzlich umstellen und die Ernährung ausgeglichen anpassen. Da letzteres aber bisher nicht geklappt hatte, dachte ich, dass es vielleicht einfacher sei, Essen mit Diätpulver zu ersetzen. Immerhin sind dabei die Portionen klar vorgegeben, und man weiß, was man essen darf: nämlich nichts anderes. Ich brauchte einfach ein klares Konzept, dass mir keine Wahl ließ und mich stattdessen ganz klar in die Pflicht und an die Hand nahm.

Der tägliche Shake. Sechsmal täglich. Würg.
Mein Diätprodukt kam in der Post, nachdem ich horrendes Geld dafür bezahlt hatte. Der Plan sah vor, alle Mahlzeiten des Tages mit Diät-Shakes bzw. -Suppen zu ersetzen. Also sechs Diät-Getränke mit insgesamt 700 Kalorien pro Tag. Dazu Wasser, Tee (ohne Milch!) oder Diätgetränke. Meine Güte! Was habe ich für einen Hunger gehabt! Jeden Tag. Fast die ganze Zeit. Der Tag erschien mir länger als je zuvor - wie sollte ich nur die Stunden zwischen den Mahlzeiten füllen? Es war mir so, als würde ich an nichts anderes mehr denken als an Essen. Leider war das Diätprodukt geschmacklich auch nicht unbedingt so, wie ich gehofft hatte. Als größtes Problem erwies sich, dass ich fast ausschließlich "Süßes" zu mir nahm - 5 Erdbeershakes pro Tag, in Ermangelung von meinem geliebten Tee mit Milch dann ergänzt durch Apfeltee und Cola Light. Schon nach einem Vormittag hing mir der Süßgeschmack gründlich zum Halse raus. Grauenhaft, zudem ich an sich sowieso eher ein herzhafter Nascher bin. Chips und Co. sind mein Niedergang...

Doch wo der Magen aufhört, fängt der Wille an. Ich war wild entschlossen, meinen Willen durchzusetzen. Dass mein Körper sich gegen meinen Kopf durchsetzt, kann bei einer zerebral-bestimmten Person wie mir schon mal gar nicht angehen. Mit Todesverachtung hielt ich mich an die Anweisungen. Als kleines masochistisches I-Tüpfelchen übernahm ich auch weiterhin den Kochdienst für die Familie, denen ich das Abendessen allerdings unabgeschmeckt servieren musste. Sogar Kuchen habe ich gebacken, ohne ein Stück davon zu probieren. Und bei einem Empfang schaute ich grimmig - aber auch irgendwie selbstgefällig - zu, wie meine Freunde die unglaublich lecker aussehenden Häppchen wegfutterten und den kostenlos ausgeschenkten Wein schluckten, während ich selber lediglich ein Glas Mineralwasser trank. Autsch.

Mein erstes Toast. Wie sentimental!
Es hat letztendlich geklappt. Nach sechs Tagen Diät habe ich heute morgen erstmals wieder feste Nahrung zu mir genommen. Nicht allerdings, ohne mich vorher auf die Waage zu stellen. Das Ergebnis der Tortur waren 3 kg Abnahme in sechs Tagen. Das ist allerdings ein beachtliches Ergebnis, wenn ich es mit meinen besten WW-Zeiten vergleiche. Dort waren in einer Woche am Anfang der Diät mal knapp über 2 kg das höchste der Gefühle. Dank dieses Ergebnisses erscheint die Pulverdiät in der Rückschau auch lohnenswert. Aber einfach ist so eine Diät nicht. Wenn ich ehrlich bin, sagt dieses Experiment eigentlich weniger über mein Gewicht aus als über meine Willenskraft. Denn ohne eine extreme Sturheit, in meinem Fall gepaart mit einem verbissenen Geiz ("Ich hab für den Scheiß bezahlt, ich zieh das jetzt durch"), kommt man hier schnell an seine Grenzen. Die Aussicht, eine solche Diät theoretisch noch wochenlang weiter durchzuziehen, erfüllt mich mit Grauen. Zwar bin ich mir sicher, dass meine Terriernatur auch *das* gnadenlos durchpushen würde, aber ob das schnellere Abnehmen *das* wert ist??? Ich glaube nicht.

Schon am zweiten Tag meiner Pulverdiät war mir klar, dass ich schluchzend in die Arme von WW zurückkehren würde. Es gibt nichts Besseres als einen ausgewogenen Diätplan, der keine Verbote ausspricht, sondern alles erlaubt, dabei aber lediglich die Mengen vorgibt. Ob nun WW oder ähnliche Programme - flexibles, vernünftiges, gesundes Essen ist das Wichtigste beim Abnehmen. Vernünftig kann ich mein Extrem-Shaking nicht nennen, zudem nach sechs Tagen Labberkram der Hunger auf normales Essen bei mir so groß ist, dass ich aufpassen muss, in meiner Freude, wieder kauen zu dürfen, nicht alles das wieder anzufressen, was ich mir gerade mühsam abgehungert habe.

Immerhin - es war nicht alles vertan. Das Ziel, Gewicht zu verlieren, habe ich erreicht. Und der angenehme Nebeneffekt ist, dass ich immerhin gelernt habe, dass ich unter besonderen Umständen mit ausgesprochener Disziplin vorgehen kann. Ich habe einen Willen. Und wenn ich mir etwas vorgenommen habe, dann setze ich das auch um. Gut zu wissen. Guten Appetit.

Samstag, 22. Juni 2013

Irische Hochzeiten - kurz und schmerzhaft

So langsam komme ich aus dem Alter heraus, in dem man ständig zu Hochzeiten eingeladen wird. Um ehrlich zu sein - so viele Hochzeiten habe ich in meinem Leben aber sowieso nicht mitgemacht. Mein Freundeskreis scheint die Institution der Ehe nicht besonders hoch zu schätzen. Das kommt davon, wenn man sich mit linken Socken umgibt... Dabei bin ich einer ausschweifenden Feier nicht abgeneigt, und staatlich-kirchlich sanktionierte Steuernachlässe hin oder her - an einem öffentlichen Treueschwur ist ja eigentlich nichts auszusetzen. Grund genug, das kleine Schwarze aus dem Griff der Mottenkugeln zu befreien und den Lidschatten auf die Schlupflider zu tupfen.

Da, wo ich herkomme, werden Hochzeiten groß und ausschweifend gefeiert. Hundert Gäste sind das Minimum, egal ob ein standesamtlicher Akt oder der kirchliche Summs noch oben drauf. Gefeiert wird bis in die frühen Morgenstunden. Jedenfalls wer zu der Feier eingeladen wird. Nach der Kirche geht es zum Empfang. Dann gibt es das große Festmahl, und kaum ist das Dessert serviert, geht es schon los mit Reden, Vorträgen, der ein oder anderen Diashow, zahlreichen Spielen zur Belustigung der Gäste und auf Kosten des Brautpaares, bis zum nächsten Sonnenuntergang geschwooft und getrunken wird. Natürlich bei offener Bar, auf dem Saal, all expenses paid. So ist das bei uns, im hohen Norden.

Am Donnerstag hatte ich Gelegenheit mal wieder direkt zu vergleichen. Anlass war die Eheschließung guter (Sozi-)Freunde. Der standesamtliche Akt fand in äußerst repräsentativem Rahmen statt. In Dublin kann man im beeindruckenden Ambiente der City Hall heiraten. Was heute die Büros der Stadtabgeordneten beherbergt, wurde im 18. Jahrhundert als Börse der Dubliner Händler gebaut. Was wahrscheinlich sowieso ein unvergesslicher Tag im Leben der Hauptpersonen ist, wird unter der Goldblatt-belegten Kuppel der Rotunda noch. Insofern war der äußere Rahmen der Hochzeit von B___ und Ch___ mit Sicherheit einer der beeindruckendsten, den ich je erlebt habe (mal abgesehen von der Eheschließung meiner Freunde C___ und S___ im alten Rathaus zu Prag!!! Unübertroffen!).

Nachdem alle Formulare unterzeichnet und der Brautstrauß geworfen war, marschierte die Hochzeitsgesellschaft bei schönstem Wetter die Parliament Street hinunter und über die Liffey zum Restaurant am Ormond Quay, wo die Feier stattfand. Und dort wurde es dann irisch. Das bedeutet zum Einen reichliche Mengen an konsumiertem Alkohol - und wenig zu essen. Denn das große Sit-down-Mahl ist nicht unbedingt Teil von irischen Feiern.  Am Donnerstag beispielsweise gab es zwar Tapas-Finger-Food, aber das war es dann auch. Stattdessen ist es bei irischen Hochzeiten üblich, sich alkoholisch selbst zu versorgen. Will heißen - die Gäste bezahlen für ihre Getränke selbst.

Schock, für Deutsche sehr gewöhnungsbedürftig. Was allerdings nicht bedeutet, dass der Alkohol weniger fließt als in Deutschland. Wir sind ja schließlich in Irland. Was allerdings dann wiederum bedeutet, dass um 1 Uhr Schluss ist mit lustig. Jawoll, kaum waren wir alle ordentlich in Fahrt und durchgetanzt dank fantastischer DJ-Beschallung, war auch schon wieder Closing Time. Nix da mit Tanz bis in das Morgengrauen. Dank diverser Gläser Wein war meine Enttäuschung um 1 Uhr nachts vokal-verbal wenig ladyhaft. What the...

Angesichts angeschlagener Verdauung und brummender Hirnhälften war wiederum meine Erleichterung am folgenden Morgen größer als meine Enttäuschung. Mein Gott, wie gut, dass wir nicht doch noch mit den Unersättlichen in die nächste geöffnete Bar weitergezogen sind. Der Tag danach wäre noch grauenhafter gewesen als so schon. Another day that I won't get back, wie man so sagt. Und insofern sind irische Hochzeiten gegebenenfalls dann für die Leber doch besser, als deutsche. Manchmal braucht man eine wohl getime-te Sperrstunde, um zu wissen, was das Beste für einen ist. Oder einen wohlmeinenden Gatten, der einen erbarmungslos nach Hause treibt.

Sonntag, 16. Juni 2013

Happy Bloomsday!

Seine Zeitgenossen hielten ihn für einen Nestbeschmutzer, einen Pornografen und eine Schande für seine Nation. Der aufstrebenden katholischen Mittelklasse entstammend, waren Kindheit und Jugend für James Joyce eine wahre Odyssee - die Familie zog von Haus zu Haus, von anfänglich respektablen Mittelklassenvororten in immer ärmlichere Stadtteile. Kein Wunder, dass der Literat sein Hauptwerk schließlich auch nach dem griechischen Mythenheld Odysseus betitelte und den Irrgang der Romanfigur Leopold Bloom durch seine Heimatstadt Dublin nachzeichnete. Joyce war mit der Stadt, die in seinem Roman Ulysses die geheime Hauptrolle spielt, aufs intimste vertraut. "Dear, dirty Dublin", die geliebte, dreckige Stadt seiner Jugend hat Joyce zeit seines Lebens in der Emigration vermisst und in seinen Werken verewigt.

Die Hassliebe beruhte auf Gegenseitigkeit - denn auch Dublin brauchte Jahrzehnte, um sich zu seinem einst kontroversen, berühmten Sohn zu bekennen. Davon ist heutezutage und heute nicht mehr viel zu spüren. Mit Joyce kann man Kasse machen. Und so feiert Dublin am heutigen 16. Juni wie jedes Jahr Bloomsday. Denn der Roman Ulysses spielt genau am 16. Juni 1904. Joyce-Fans aus aller Welt kommen zum Bloomsday nach Dublin. Die ganz harten Fans steigen am Bloomsday in edwardianische Kostüme und pilgern auf den Spuren von Leopold Bloom durch Dublin - vom Martello Tower in Sandycove, in dem das Anfangskapitel von Ulysses spielt, über Stationen wie Sweny's Chemist, Sandymount Strand, Davy Byrne's Pub und Eccles Street bis hin zum National Maternity Hospital und "Nighttown", dem ehemaligen Rotlichtbezirk um die Marlborough Street.

Richtig cool ist, was Freunde von mir auf die Beine gestellt haben. Nach ersten Gehversuchen mit dem "Bloomsday Survival Kit" im vergangenen Jahr  - einem Bloomsday Guide mit den entsprechenen Requisiten für die Teilnahme am Bloomsday wie liebevoll illustriertem Führer in Buchformat, Strumpfband und Trauerbinde - hat die gleichnamig benannte Gruppe dieses Jahr ein ganzes Programm auf die Beine gestellt. Nach Lesungen an den verschiedenen Handlungsorten tobt Bloomsday Survival Kit auch in diesem Jahr durch Dublin. Im Bett mit Molly Bloom, zum Beispiel. Oder mit einer interaktiven Vorführung der literarischen Verfilmung. Zugänglicher kann man das schwierige Werk eigentlich nicht darstellen. Und wer alleine Probleme hat, den Wälzer anzugehen, sollte sich spätestens im kommenden Jahr die wöchentliche, öffentliche Lesung von Ulysses nicht entgehen lassen. Denn auch wenn Joyce es seinem Leser nicht leicht macht - Generationen von Joyce-Experten und -Studenten haben sich bereits an dem Werk die Zähne ausgebissen - gemeinsam macht die Lektüre von Ulysses Spaß.

In Ermangelung passender Kostümierung werde ich selber heute Ulysses lediglich mit der rituellen Nutzung der eigens an einem vergangenen Bloomsday in Sweny's Chemist gekauften Zitronenseife gedenken. Und den abgegriffenen Wälzer aus dem Bücherregal ziehen und mein Lieblingskapitel lesen. Der Monolog von Molly Bloom. Ohne Punkt und Komma, aber da geht es zur Sache. Denn Joyce hat kein Blatt vor den Mund genommen.

Ja, denn er hat niemals so etwas gemacht wie nach dem Frühstück im Bett zu fragen mit ein paar Eiern seit dem City Arms Hotel als er immer so tat als ob seine Stimme krank sei und seine Hochwohlgeborenheit vorspielte um sich interessanter zu machen für die alte Schachtel Mrs Riordan von der er dachte dass die was von ihm wollte aber sie hat uns keinen einzigen Pfennig hinterlassen und sie war die geizigste Seele die es jemals gab...
Happy Bloomsday, everyone!

Freitag, 14. Juni 2013

Nur in Irland (4): Schleudertrauma


Wer verstößt hier gegen die Verkehrsregeln? Tipp: Der einzige, der hier richtig parkt, bin ich. Was allerdings nicht weiter verwunderlich ich. Selbstverständlich bin ich die einzige, die hier in diesem Lande *richtig* Auto fahren kann. Ok, das ist vielleicht etwas übertrieben. Ich kenne noch ein paar weitere deutsche Autofahrerinnen, die ebenfalls mit der Straßenverkehrsordnung vertraut sind. Im Gegensatz zu unseren irischen Mitbürgern, mit denen wir uns hier die Straße teilen müssen.

Eigentlich sollte ich mich ohne Halskrause gar nicht mehr hinter das Steuer setzen. Ich habe nach den meisten Autofahrten ein Schleudertrauma. Vom vielen Kopfschütteln! Denn mit den Verkehrsregeln nimmt man es hier in Irland nicht so genau. Vor allem, wenn es sich dabei um Regeln handelt, die nicht unbedingt das fahrende Kraftfahrzeug als solches betreffen. Siehe oben. Auf dem Schulgelände der deutschen Schule Dublin. Das Schulgebäude erreicht man, indem man einen Zufahrtsweg bergab fährt und gegebenenfalls sein Gefährt auf dem Schulparkplatz abstellt. Zum Halten gibt es wiederum einen Haltestreifen an der Zufahrt, bei dem die Eltern ihre Autos kurz anhalten, damit die Kinder einsteigen können. Halten. Nicht Parken. Trotz großer Markierung "Set-down Only" (Nur zum Ein- und Aussteigen), ist dieser Streifen der begehrteste Parkplatz an der Schule. Weil es von hier etwa zehn Schritte näher zum Schulportal ist, als wenn man auf dem Parkplatz parkt. Hmph. Was mich regelmäßig aber viel mehr auf die Palme bringt, weil es meinem deutschen Ordnungssinn auch nach 14 Jahren immer noch to-tal gegen den Strich geht: Genau diese Plätze werden am liebsten von den Eltern zum Parken gegen den Verkehr genutzt. Arrrrrrrrrrgh. *kopfschüttel* Da komm ich einfach nicht aus meiner Haut heraus, am liebsten würde ich aussteigen und erstmal in die Runde ranzen "Das ist VERBOTEN!!!" (Aber ich hab mich ja im Griff. Ich ärger mich nur im Fond. Denn my car is my castle. Oder so.) Unsere irischen Freunde haben eben ein lockereres Verhältnis zur Auslegung der Verkehrsregeln. Parken kann man überall, auch gegen den Verkehr und in dritter Reihe in einer Kurve. *kopfschüttel* *kopfschüttel*

Schön finde ich auch immer wieder das graduelle Beleuchten der PKWs bei einbrechender Dunkelheit. Dass nicht jeder zur exakt selben Zeit seine Scheinwerfer einschaltet, ist natürlich klar. Warum man aber bei Dämmerung nur das Standlicht einschaltet, verstehe ich nicht. Glauben die Fahrer, dass es billiger ist, wenn man nur mit Funzelbeleuchtung fährt? *kopfschüttel* Leute, legt den Schalter ganz nach rechts und macht die verdammten Scheinwerfer an, das kostet euch nicht mehr als die Standbeleuchtung. Und besser gesehen wird man dann auf jeden Fall. - Gespart wird gerne auch an der Nutzung der Blinkerbirnen. *kopfschüttel* Bloß nicht zu früh blinken - vielleicht verschleißt die teure Blinkerbirne dann zu schnell? Zweimal klein blinken muss reichen, am besten erst dann, wenn man die Einmündung schon erreicht hat, denn wir wollen mit unseren gelben, blinkenden Leuchten ja niemanden vom Verkehr ablenken.

Wo auf Verschleiß dann wiederum keine Rücksicht genommen wird, ist bei der Nutzung der Handbremse. Diese, so brachte man mir - allerdings zugegebenermaßen beim Fahrunterricht in der norddeutschen Tiefebene - bei, wird angezogen a) wenn man das Fahrzeug verlässt (= parkt) oder b) am Berg anhält. So weit, so logisch. Nun ist Irland tendenziell etwas hügeliger als Norddeutschland, dennoch ist es hier gang und gäbe, bei jedwedem Halten die Handbremse anzuziehen. Das gilt auch für das Anhalten an einer roten Ampel oder beim Erreichen einer Einmündung. *kopfschüttel* Und führt zu unnötigen Verzögerungen, wenn Verkehrsteilnehmer auch bei tiefgrün immer noch nicht ihre verdammte Handbremse wieder losgekriegt haben. Grah.

Angeblich soll es sich ja auf Irlands Straßen wesentlich entspannter fahren als auf deutschen Trassen, auf denen unbeirrt auf das verbriefte Recht des Verkehrsteilnehmers gepocht wird. Kann ich so nicht bestätigen. Ich finde das Fahren in Irland immer stressig. Mir tut der Nacken weh, ich habe Halsschmerzen. Kopfschütteln und lauthals schimpfen sind einfach nicht gut für die seelische Ausgeglichenheit. Wie gut, dass ich in der Stadtmitte wohne und die meisten Erledigungen sowieso zu Fuß erledige. Alles weitere wird mich noch einmal vorzeitig ins Grab bringen. Ich wünsche mir für meinen letzten Weg eine von zwei Rappen gezogene Leichenkutsche.

Donnerstag, 6. Juni 2013

No dann!

Also, dass das schon mal von vornherein klar ist: Es gibt hier kein dann! Unter keinen Umständen, und schon gar nicht im Falle einer Panik. Denn ein dann ist äußerst fahrlässig, behindert die Löscharbeiten und wird mit einem vorher nicht unter zwei Monaten bestraft.


Man findet sie heute ja äußerst selten, solche Klopfer. Umso amüsierter war ich, als ich diesen jenen am vergangenen Wochenende in unserem 4-Sterne-Hotel an der Zimmertür fand. Die Anweisungen für den Brandfall, hier noch einmal deutlicher - aber mit allen Fehlern - transkribiert als sie auf dem unsäglichen iPhone-Foto herauskommen:

Wenn Sie Brandalarm horën:
  1. Bei einem Brand,
  2. Nicht rennen, sondern wie augewiesen den nächst gelegenen Notausgang benutzen.
  3. No "dann"
  4. Sammeln sie sich nicht, um die Feuerwehr nicht bei der Arbeit zu behindern.
So ein Trema hat mich auch schon immer fasziniert. Wer auch immer den Text für die Notfallanweisungen setzen musste, wusste immerhin, dass die deutsche Sprache über äußerst seltsame kleine Pünktchen verfügt, die wahllos wie kleine Fliegenschisse auf verschiedene Vokale gesetzt werden können. Ein Trema gibt es im Deutschen allerdings überhaupt nicht.

Bei Punkt 2 bin ich mir nicht sicher, ob es sich bei "augewiesen" nun um das elliptische Wort "ausgewiesen" handelt, oder ob die Textvorlage handschriftlich vorlag und dementsprechend die Sauklaue des Übersetzers das N in "angewiesen" wie ein U aussehen ließ.

Mein Lieblingspunkt ist natürlich Nummer 3. Wunderbar, wie man mit zwei Wörtern so viel vermitteln kann: Das prägnante "no" ist eigentlich für jeden verständlich. Wir wissen also schon mal, dass wir irgendetwas nicht machen sollen. Nämlich "dann". Ganz klar: Im Brandfall gibt es kein "dann". Im Brandfall gibt es nur ein "jetzt". Nix da warten! Sofort aus dem Zimmer gehen und sich in Sicherheit bringen. "Dann" ist verboten! Die eindringliche Fürsorge des Textautoren ist geradezu rührend. Nicht, dass wir irgendwie zu Schaden kommen, nein, mit Nachdruck wird uns hier vermittelt, dass es keine Zeit zu verlieren gibt und dass wir uns in höchster Lebensgefahr befinden werden, wenn wir hier "dannen" sollten. Ein lebensrettender Hinweis.

Aber mit Psychologie hat der Textautor angesichts Punkt 4 offenbar nicht viel am Hut. Denn kaum haben wir uns in Sicherheit gebracht, sollen wir uns aber mal schnellstens zusammenreißen und hier nicht so tun, als seien wir traumatisiert. Trauma verarbeiten, so ein Quatsch - so schlimm war das ja wohl alles nicht. Hier braucht sich keiner zu sammeln und seine Nerven wieder bündeln. Nun mal zur Seite und nicht der Feuerwehr im Weg stehen, aber schnell schnell Schweinehund!

Ich darf meinen Leserinnen und Lesern hiermit versichern, dass wir in unserem Hotel tatsächlich auf das "dann" verzichtet haben. Es erschien uns einfach zu riskant. Und das, obwohl es noch nicht einmal gebrannt hat. Ich habe das "dann" vorsichtshalber schon einmal komplett aus meinem Wortschatz gestrichen. Es erscheint mir doch irgendwie gefährlich. Wer weiß, was alles passieren kann, wenn man ein "dann" dabei hat? Auch ihr solltet einmal darüber nachdenken, ob ihr ein "dann" wirklich braucht? Im Zweifelsfall lässt sich das "dann" auch problemlos mit einem "auch", "ferner", "außerdem" oder "weiter" ersetzen. Aber psssst - erzählt das bloß nicht dem Textautor!

Dienstag, 4. Juni 2013

Zurückrudern nach Killarney

Direkt wieder zurück aus Killarney. Das muss sofort mit einem Blogbeitrag begangen werden. Das letzte Mal war ich in Killarney vor knapp 25 Jahren. Damit dürfte dann hiermit auch herausgekommen sein, dass ich entgegen eigener Aussage nicht 17 Jahre alt bin. Damals war ich mit meinem Englisch-Leistungskurs auf Studienfahrt in Irland. Als damals bereits versierte Irlandkennerin (immerhin war ich schon in den Jahren 1984 und '85 auf Sprachferien in Südirland gewesen), hatte ich damals meine Nase bis ungefähr Höhe Haaransatz gerümpft: Killarney ist schließlich das Tourismuszentrum Irlands. Ausgerechnet da mussten wir hinfahren? Untragbar. Viel zu berechenbar. Doch mit 25 Jahren Abstand muss ich heute sagen: Es hat schon seinen Grund, warum Killarney die Tourismuszentrale Irlands ist und auf keiner Rundreise fehlen darf.

Lower Lake mit Blick auf Torc Mountain
Das hat nun weniger mit dem Ort selbst zu tun. Zwar kommt der derzeit sehr bekannte (deutsch-)irische Schauspieler Michael Fassbender aus Killarney, aber das dürfte wohl kaum der Grund dafür sein, dass Touristen busladungsweise durch den Ort gekarrt werden. Auch der Ort selbst hat eigentlich nichts Besonderes zu bieten. Aber seine Lage ist wahrhaft paradiesisch - an den Lakes of Killarney gelegen, umgeben von Bergen und gesegnet mit mildem atlantischem Golfstromklima, sucht die Gegend um Killarney ihresgleichen. Liebliche Parklandschaften wechseln mit schroffen Bergpanoramen und Seenblick. Als ich der Aussicht rechts nach der Ankunft in unserem Hotel am Freitagabend direkt von der Terrasse unseres Zimmers gewahr wurde, war meine hochmütige, ehrlich gesagt teenagerhaft-dummwisserische Abneigung von 1988 mit einem Blick weggewischt.

Daran konnte übrigens auch die Tatsache nichts ändern, dass während des jetzt gerade zu Ende gegangenen June Bank Holiday-Weekends in Killarney das Ireland Bike Fest stattfand - und rund 4000 Motorrad-Enthusiasten in den Ort eingefallen waren. Das Harley Davidson Portofino Chapter war in unserem Hotel einquartiert - ganz reizende ältere Herren, übrigens, die sich nach dem irischen Frühstück mit Hilfe eines Fußbänkchens auf die Sättel ihrer Öfen schwangen und gemütlich vom Hof pötterten. Zwar war der Soundtrack des Wochenendes weniger das sanfte Lecken der Seewellen an den Hotelstrand, und auch nicht das Röhren der im Hotelgelände pirschenden Hirschen, sondern das beständig im Hintergrund summende Motorenbrummen tausender Harleys, aber selbst das konnte die Idylle nicht trüben.

Blick auf den Lower Lake von Torc
Als ehemalige Kleinkindmutter und lärmerprobte Tante von neun (9!) Neffen und Nichten im Alter von 9 Monaten bis 12 Jahren kann ich Geräuschpegel sowieso problemlos ausblenden, um mich auf die verbleibenden sensorischen Eindrücke zu konzentrieren. Die Sonne auf der Epidermis, die exzellente Fisch-Cuisine auf der Zunge und die gloriose Landschaft auf der Netzhaut. Marky Mark kam wieder einmal voll auf seine Kosten - vom überbordenden Rhododendron-Farbenspiel im Park von Muckross House über den Torc-Wasserfall, Castle- und Abbey-Ruinen bis zum überwältigenden Blick über den Lower Lake nach einem zweistündigen Aufstieg auf den Torc Mountain. Was schon die Viktorianer als paradiesisch empfanden - Königin Victoria besuchte Killarney im Jahr 1861 - ist auch heute noch weitgehend unberührt (wenn auch auf Grund des Bike Fest bei unserem Besuch stark berÖhrt...) Die Tatsache, dass die Wiederansiedlung von einem Seeadler-Pärchen im Killarney National Park gelungen ist, zeigt, wie sehr man darum bemüht ist, die Zivilisation von der Natur hier fernzuhalten. 

Killarney ist wundervoll. Ich empfehle allen Irland-Reisenden uneingeschränkt den Besuch. Den Ort selber am besten am Rande liegen lassen und sich ganz auf die Natur konzentrieren. Das geht am besten zu Fuß. Und dazu sollte man gutes Schuhwerk mitbringen. Aber darüber erzähle ich dann ein anderes Mal!