Mittwoch, 29. Juni 2011

Was'n HIER los???

Wie jetzt? Das ist ja päpstlicher als der Papst. Beziehungsweise: Irland wird deutscher als die Deutschen. Fängt das hier jetzt auch mit der unerbittlichen Durchregelung der allerkleinsten Ereignisse an? Hatte ich mal irgendwo geschwärmt, die Iren seien so wunderbar locker, unkonventionell und erfrischend regel-resistent? Nun, ein bisschen mehr "Sure, it'll be grand" wäre mir am Wochenende doch ganz recht gewesen...

Der Tatort: Ein provinzielles regionales Bürgerbespaßungsfest zu Ehren der Sammelnussfrucht Fragaria, im Volksmund auch unter dem irreführenden Namen "Erdbeere" bekannt.

Die Beteiligten: Zwei nukleare Kleinfamilien mit Nachwuchs im Alter zwischen 12 und fünf Jahren, sowie diverse Sicherheitsbeauftragte des o.e. Regionalevents.

Der Stein des Anstoßes: Canon 5D Mark ii, auch liebevoll "Marky Mark" genannt, samt Zoom-Objektiv Canon EF 24-105mm f/4.0 L IS USM. 

Das Delikt im Zusammenhang: Die Besuchergruppe A näherte sich gut gelaunt und in freudiger Erwartung eines nostalgischen Konzerterlebnisses mit der in Irland weltbekannten Rockband "The Saw Doctors" dem Einlasstor des Sammelnussfestes in Enniscorthy und ließ sich von den freundlichen Helfern das blaue Papierklebeband als Eintrittsberechtigung um die Handgelenke legen. Doch vor den Musikgenuss hatte der Veranstalter noch eine Sicherheitskontrolle gestellt. Nach Ganzkörperabtastung durch das Sicherheitspersonal öffnete Besucherin B (meine eigene Wenigkeit) arglos die mitgebrachte Kameratasche zur Durchsicht auf eventuell mitgeführte Waffen und Spirituosen. Der Blick in die Kameratasche eröffnete Schreckliches: Eine semiprofessionelle Fotoausrüstung. "Damit können Sie hier nicht rein! Haben Sie eine Fotografiererlaubnis?" "Ömm... nein, ich bin nicht dienstlich hier, sondern auf privater Vergnügungstour. Reicht mein Presseausweis nicht?" "Nein, mit der Kamera kommen Sie hier ohne Erlaubnisschein nicht rein."

Grah! Kein Argumentieren half, auch nicht beim hinzugezogenen Obersicherheitsbeauftragten. Dieser funkte freundlicherweise noch den Oberobersicherheitsbeauftragten an, aber die unerbittliche Tatsache blieb: Das Mitführen einer Kamera mit abnehmbarem Objektiv ist ein deutlicher Hinweis auf die zu erwartende Fotografietätigkeit mit späterer Veröffentlichung der resultierenden Lichtbildaufnahmen zum Zwecke kommerzieller Verwendung. Never mind, dass man mit einem 100mm-Zoom wohl kaum gestochen scharfe Großaufnahmen der provinziellen Superstars machen kann.



Werden die irischen Sicherheitsfritzen neuerdings in Deutschland ausgebildet? Da stand ich ja anlässlich des WM-Spiels Italien-Ghana in der AWD-Arena zu Hannover bereits einmal im Visier von auf Fotografen abgerichteten Sicherheitskräften. Dabei trug ich damals lediglich eine Amateur-Spiegelreflexkamera bei mir, die das Misstrauen der überprüfenden Sicherheitsmannschaft erregte. Gut, dass ich damals aber noch einen Apfel in der Tasche dabei hatte - der war nämlich noch viel suspekter als die Kamera. Und musste vor den Augen der Eingangskontrolleure in den Mülltonnen entsorgt werden.

Entsorgen musste ich marky Mark in Enniscorthy Gottseidank nicht. Aber Schluss mit lustig war dennoch - kein Zugang für Fotografen, selbst wenn sie sich als harmlose Muddis im mittleren Lebensalter tarnen. Was für ein Theater. Schade drum.

Freitag, 24. Juni 2011

Sure, it'll be grand

Man kann auch mit Halbheiten leben. Muss ja nicht alles perfekt sein. Sure, it'll be grand. "Ach was, das geht schon", so sagt man das in Irland. Erstaunlich, was man als in Deutschland sozialisierte Frau alles so hinnehmen kann. Hätte nie gedacht, wie geschmeidig ich mal werden würde...

Beispiel 1). Der Winter ist gerade zu Ende und der irische Frühling ist erstaunlich mild. Diesen ausgesprochen glücklichen Zeitpunkt wählt unser Wäschetrockner, um mit einem neuen Soundeffekt auf sich aufmerksam zu machen: Egal wie viele Umdrehungen - das Gerät kreischt und knirscht auf Teufel komm 'raus, und das mit ohrenbetäubender Lautstärke, läuft aber sonst noch ganz gut und bringt die erwünschte Trockenleistung. Glück im Unglück: Der Hausfrauenhelfer steht im Keller, quasi am diametral entgegengesetzten Ende meines Wohnraumes. "Ah, sure, it'll be grand!" Macht ja nichts, ich hör's ja nicht.

Beispiel 2). "Nein", spricht der Gatte, uncharakteristisch-unirisch. "Das geht so nicht. Das stört die Untermieter im Erdgeschossbüro." Und schraubt die akustisch herausfordernde Maschine auseinander. "Wir brauchen keinen Weißwarenmechaniker. Ich mach das selbst. Sure, it'll be grand..." Leider nicht. Mit geöffneter Rückseite und exponierter Schleudertrommel steht das Gerät monatelang quasi nackt und entblößt im Waschkeller. Naja, das Wetter ist ja mild, draußen ist noch 'ne Wäscheleine. Sure, it'll be grand, so.

Beispiel 3). Auch das nachträglich eingebaute Superklo-mit-Häckselmotor (ich erspare euch Erklärungen, ihr könnt euch sicher selbst vorstellen, was das soll) will nicht mehr still und unauffällig vor sich hinspülen, sondern entschließt sich Ende Sommer 2010 [sic!], ab sofort nur noch unter lautem Gebrumm und Getöse Wasser in den Spülkasten nachfließen zu lassen. Erste Untersuchungen ergeben keine Ursachen, immerhin können wir aber ausschließen, dass es sich um einen irischen "Chopper" handelt. - Während des langen Winters 2010/2011 wird der Bevölkerung die Wasserversorgung abgeschaltet. Erstaunlicherweise reagiert das Brummklo sehr empfindlich und verstummt beleidigt. Gibt es einen Zusammenhang? Sollten wir doch mal einen Fachmann ranholen? "Ah, sure, it'll be grand." - Ja, bis dann das Wassersparen wieder ausgesetzt wird und das Summen aus dem Klo wieder laut wird. Nach 22 Uhr ist das Benutzen des Superklos aus Rücksichtnahme auf den Schlaf der Kinder in den nebenliegenden Kinderzimmern untersagt. Zwischen 9 Uhr und 17 Uhr muss ebenfalls auf die Verrichtung der Notdurft in der Brummtoilette verzichtet werden, um die im Haus liegenden Büros (siehe oben) nicht mit Lärm zu belästigen.

Die Hausfrau hat sich mit den Gegebenheiten abgefunden. Warum Rumärgern über Kleinkram und unnötig Geld für unzuverlässige Handwerker und Paranormaliker ausgeben. Es geht doch auch so... Nur dass der Gatte doch nochmal wieder ran will, den Spülkasten öffnet und das Innenleben freilegt. Durchaus interessant, das mal alles in seiner Funktionsweise so zu betrachten. Über mehrere Wochen hinweg stellt sich auch eine gewisse Vertrautheit mit den sanitären Anlagen ein, so dass es auch nicht weiter seltsam erscheint, nach dem Betätigen der Spülung den Spülkasten mittels eines eigens bereit gestellten Wasserkrugs aufzufüllen und so dem Wasserdruckproblem etwas entgegenzusetzen. Des basst scho, denkt sich da der Franken-o-phone Mensch. Immerhin kann die praktisch denkende Hausfrau, die im Hause K___-P___ für die Abteilung "Vorsprung durch Technik" zuständig ist, noch einen Verbesserungsvorschlag anbringen: Die Handbrause der Dusche reicht bis zum Spülkasten. Da geht das Auffüllen des Wasserklosetts doch noch viel leichter von der Hand. Ah, sure, it'll be grand.

Moment mal, Vorsprung durch Technik? Da muss die Dame des Hauses doch noch mal mit deutscher Logik rangehen. "Warum macht die Leitung Lärm?" "Weil sie vibriert!", spricht der Gatte. "Warum vibriert sie?" "Weil zu wenig Druck auf der Leitung sitzt." Ha, das kann nicht sein, denn bei Wasserknappheit konnte das Klo ja ganz ohne Stöhnen Wasser nachfüllen. "Umgekehrt wird ein Schuh draus", sagt die technik-affine Logikerin. "Der Zulauf ist irgendwie verstopft. Da musst du mal rangehen!"

Gatte schraubt. Und Klo verstummt. Hausfrau trumphiert. Ah sure, now it'll be grand. Echt!

Montag, 20. Juni 2011

Da kommen die Ex-Pats dann mal wieder raus

Deutsche sind ja wohl so die assimiliations-affinsten Nationalität, die es gibt. Wer als Deutscher ins Ausland geht, lernt a) möglichst schnell die Landessprache, b) passt sich örtlichen Sitten und Gebräuchen perfekt an und versucht ergo c), möglichst nicht mehr als Deutscher aufzufallen. Das jedenfalls ist so mein allgemeiner Eindruck von meinen Landsleuten, denen ich in knapp 20-jähriger Auslandserfahrung so begegnet bin.

a) äußert sich meistens in einem übersteigerten Anspruch, sich sprachlich an die Eingeborenen anzupassen. Dazu gehört für die linguistisch Befähigten das Annehmen eines breiten, regionalen Akzents und die Übernahme örtlicher Angewohnheiten wie das ausschweifende Fluchen. In Hinblick auf b) kann man in Irland sehr schnell den Eindruck erwecken, nicht-deutsch zu sein, indem man die laxe Einstellung zu Pünktlichkeit und Ordentlichkeit übernimmt. Und - tada - schon ist c) vollzogen.

Ist ja auch alles schön und gut, und nachvollziehbar. Wer lange im Ausland lebt, wechselt seine Loyalitäten und ist es irgendwann satt, ständig erklären zu müssen, woher man eigentlich stammt - vor allem, wenn man sich dem Zeitpunkt nähert, an dem man bereits länger im Ausland als im deutschen Inland gelebt hat.

Dennoch könnte ich manchmal die Krise kriegen, wenn deutsche Landsleute ganz offenbar versuchen, sich demonstrativ sprachlich von anderen Deutschen zu distanzieren (siehe auch meine Begegnung mit einer Passagierin auf meinem Horrorflug von München nach Dublin). Nein, wir müssen nicht alle Freunde sein, weil wir den Zufall eines gemeinsamen Geburtslandes teilen. Ich frage mich nur oft, warum es manchen Deutschen so schwer fällt, die gemeinsame Sprache und die vielfach gemeinsame Lebenserfahrung einer Kindheit und Jugend in Deutschland als Bindeglied zur unverbindlichen Kommunikation zu nutzen. Da wird lieber beharrlich weiter auf Englisch geredet, obwohl im ersten Kontakt bereits klar ist, dass man denselben Hintergrund hat.

Nur in einem Kontext enttarnen sich die Deutschen selbst ganz gerne: Wenn es um die Wurst geht. Nämlich die gute, alte, deutsche Bratwurst. Die gibt es hier natürlich nur selten mal. Aber bei den bekannten Gelegenheiten - als da wären Weihnachtsbasar in St. Kilian's oder Adventsmarkt im IFSC - da kommen sie dann doch mal alle aus ihren Löchern, die Deutschen. Zuletzt geschehen am vergangenen Wochenende beim Sommerfest der St. Kilian's Grundschule. Wahnsinn, wie viele es von uns gibt - leider allerdings ohne offizielle Zahlen.

Nun ja, sein Geburtsland kann man sich leider nicht aussuchen. Seine Nationalität allerdings (in manchen Fällen) schon. Aber das ist eine Geschichte, die ich dann an anderer Stelle noch mal ausführen werde.

Freitag, 17. Juni 2011

Bloomsday

Verspätete Bloomsday-Grüße, meine Lieben. Gestern war wieder der jährliche Ulysses-Gedenktag. Und egal ob wir das Monumentalwerk von Irlands meistgehasstemliebtem Schriftsteller nun gelesen haben oder ob wir uns die Intellektualität ganz fälschlich ans Revers heften: Bloomsday erfasst hier alle!

Dabei ist der Tag natürlich kein öffentlicher Feiertag. Diese sind in Irland ja sowieso selten gestreut. Aber in diesem literatur-affinen Land und in der Heimatstadt des prominentesten Nicht-Nobelpreisträgers der Welt kommt es keinem seltsam vor, einen ganzen Gedenktag einzurichten, der auf dem Namen eines fiktionalen Charakters beruht - Leopold Bloom, der Hauptfigur von Joyces Roman.

Ganz und gar nicht fiktionial ist allerdings die Geschichte, die sich um Joyces Wahl des 16. Juni 1904 als Tag der Handlung seines Romans rankt. Und genauer betrachtet, entpuppt sie sich als die schönste Liebeserklärung, die ein Schriftsteller wohl seiner Auserwählten machen kann: Am besagten 16. Juni 1904 traf der damals 22-Jährige seine spätere Frau Nora Barnacle zum ersten Mal. Ein so einschneidendes Erlebnis, dass er das Datum auf alle Zeit in die Annalen der englischen Literaturgeschichte einbrannte. Die Figur der Molly Bloom - Ehefrau des Romanhelden - soll ebenfalls auf Nora fußen.

Nora hat Ulysses nach eigener Aussage übrigens nie gelesen. Sie hielt ihren Mann ohnehin für einen besseren Sänger als Schriftsteller. Dennoch muss auch sie sich ihrer Liebe zu Joyce von Anfang an sicher gewesen sein, denn nur kurze Zeit nach dem Kennenlernen wagte sie es, gemeinsam mit Joyce Irland zu verlassen. Unverheiratet - ein geradezu wahnsinniges Risiko für eine junge Frau in damaliger Zeit, denn eine Trennung nach unverheiratetem Zusammenleben hätte bedeutet, dass ihre Ehre auf immer beschmutzt gewesen wäre. Geheiratet haben Joyce und Barnacle übrigens erst nach über 30 Jahren! Und das auch nicht aus romantischen Gründen, sondern zur Sicherung des Erbes - obwohl Joyces Werk zu Lebzeiten niemals den Erfolg erhielt, das ihm gebührte, und es dementsprechend nichts zu erben gab - außer den Rechten am Werk.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Tangentialbestimmungen

Eigentlich dachte ich ja immer, dass mit zunehmendem Alter eine gesteigerte Zen-Affinität zu verzeichnen sei. Will heißen: Von Natur aus nicht gerade mit viel Geduld gesegnet, hatte ich gehofft, mit den Jahren nicht nur an Weisheit, sondern auch an Leidensfähigkeit zu gewinnen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Oder liegt es an der Extremität meines Exillebens, zwischen zwei Kulturen, immer als Außenseiter, dass ich so gar nicht zum "ommmmmmm" komme?

Gestern wieder so ein Fall. Nun mal ganz und gar davon abgesehen, dass mich einer meiner bereits hier einschlägig bekannten Verbindlichkeitsverachter erneut nach Zusage zu einem Treffen versetzt hatte - in diesem Fall erreiche ich dank ständiger Übung nun doch langsam den Punkt "ey, is mir doch egal" - meine Geduld wurde doch stark auf die Probe gestellt.

Bei der Veranstaltung handelte es sich um einen Fotografie-Workshop zum Thema Portraitbeleuchtung, gesponsort von einem namhaften Foto-Leuchten-Hersteller und abgehalten in den Ausstellungsräumen eines Fotografie-Equipment-Showrooms in einem Dubliner Industriegebiet. Dass sich der Beginn um eine halbe Stunde verzögerte, konnte ich angesichts der kostenlos zur Verfügung gestellten Kekse und des Tees ja noch verschmerzen - obwohl ich bei der Anfahrt gewohnt pünktlichkeitsfanatisch bereits ins Schwitzen gekommen war, dachte ich doch, dass ich zu spät komme. Und das kann ich für mich ja ü-ber-haupt nicht ertragen.

Doch mit fortschreitendem Seminar verspürte ich zunehmende Unruhe. Der vortragende Fotograf - zwar extrem erfahren und kompetent, eloquent und witzig - begann zielgerichtet, uns mit dem entsprechenden Material vertraut zu machen. Und geriet dann auf die schiefe Bahn Tangente. Neben Döntjes aus der eigenen Berufspraxis, Geschichten aus seiner Schulzeit vor einem halben Jahrhundert und Schimpftiraden auf höllische Bräute, die einen Hochzeitsfotografen an den Rand des Wahnsinns bringen, geriet das eigentliche Thema des Workshops in den Hintergrund. Nicht dass wir uns falsch verstehen - ich liebe Anekdoten und Geschichten, mitten aus dem Leben gegriffen. Aber nicht, wenn ich weiß, dass ich wegen verspäteten Endes um 17 Uhr mitten im feierabendlichen Dauerstau stehen werde.

Da sind die Iren dann doch wesentlich toleranter als ich. Während ich ab offiziellem Ende des Seminars alle 30 Sekunden drei Minuten ungeduldig die Uhrzeit kontrollierte - Wink mit dem Zaunpfahl - hörten die anderen Seminarteilnehmer geduldigst zu - und stellten noch die Veranstaltung unnötig verlängernde interessierte Fragen. *graaaaaaaaaah* Endlich war eine Dreiviertelstunde nach offiziellem Ende alles vorgemacht und gesagt, und der Seminarleiter schloss die Veranstaltung - da stellte sich der gastgebende Showroom-Fritze vor die versammelte Mannschaft. Ok, die zwei Minuten für das jetzt folgende Verkaufsgespräch hätte ich ihm ja auch noch von Herzen gegönnt. Stattdessen setzte der Mann aber zu einem viertelstündigen Motivationsgespräch für Hobbyfotografen an. "Sie müssen nur auf sich selbst vertrauen. You can do it!"

Yes, you can do it - erlöse uns von dem Diktat der tangentialbestimmten Workshop-Planlosigkeit! Kostenlose Seminare bitte gerne - aber geht's denn auch mit einem Plan und ohne ständige Abweichung vom Thema? Damit wäre allen gedient, denn nicht jeder, der sich einen Nachmittag für eine Veranstaltung freinimmt, erwartet ein "open end", sondern hat weitere Termine wahrzunehmen. Das gilt doch eigentlich auch für Seminarleiter, oder?

Ich bin einfach zu deutsch pünktlichkeitshörig...

Freitag, 10. Juni 2011

Vom Höckschen aufs Stöckschen aufs Trottoir

Habt ihr euch schon mal gefragt, wie ich so auf meine Themen hier im Blog komme? Klar, manchmal sind die Themen gerade aktuell sooo präsent (will sagen: ich beschäftige mich privat gerade in-ten-sivst damit), dass ich sie hier unbedingt artikulieren muss. Wie bei dieser unsäglichen Verbindlichkeitsresistenz, über die ich mich geradezu täglich errregen könnte. An anderen Tagen dagegen muss ich laaaaange überlegen, was ich so zu sagen habe. Heute ist auch eher so ein Tag.

Eigentlich kreisen meine Gedanken im Moment fast ausschließlich um die nächste Fotoausstellung, die ich gemeinsam mit meinen Freunden organisiere. Aber das ist nicht wirklich relevant für ein Irland-Läster-Fest-Landeskundebeitrag. Genausowenig wie meine Überlegungen zum angemessenen Outfit für die Montag anstehende Ausstellungseröffnung. Oder die Erwägungen, welche Schuhe dann zur möglichen Künstlerverkleidung passen. Zudem ich für die dann ausgewählten Schuhe - blaue 7-cm-Keilabsätze - zunächst noch einen Stöckelkurs belegen muss. So was ist für das irische Terrain tatsächlich notwendig, um nicht zu sagen unerlässlich. Womit wir dann nun endlich beim Thema wären: das Dubliner Trottoir.

Das Dubliner Trottoir ist ein Fußgängerweg aus der Familie der öffentlichen Gehflächen und eine der drei in Irland vertretenen Gattungen innerstädtischer Freiräume. Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über ganz Dublin, sowie südwärts bis nach Bray. Das gemeine Dubliner Trottoir breitet sich dabei vor allem in den zentralen Einkaufsstraßen aus, wo es sein Territorium durch überraschendes Erlegen von Beute aus dem Hinterhalt absichert.

Drei Unterarten des Dubliner Trottoirs sind hervorzuheben, gekennzeichnet durch jeweils charakteristisches Jagdverhalten - das vom Aussterben bedrohte Kopfsteinpflaster semita ambulans, die denkmalgeschützten Granitgehsteige semita silica und die in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Pflastersteinfußwege pavimentum emplastri . Alle drei Trottoirs haben die Konzentration auf weibliche Beutepersonen gemeinsam. Insbesondere Passantinnen mit einer Absatzhöhe von 3 cm und höher werden durch das Dubliner Trottoir erlegt.

Kopfsteinpflaster sind heute nur noch selten anzutreffen und treten vor allem in innerstädtischen Szenegebieten sowie in der Nähe von Hafenanlagen auf. Das Kopfsteinpflaster erlegt Absatzträgerinnen vor allem durch systematisch angelegte Fang-Ritzen, in denen sich die Hacken festsetzen und die Trägerin zu Fall bringen. Der Granitgehsteig - vorzugsweise an georgianischen Plätzen gelegen - geht nur bei Regenwetter auf Beutezug, indem er seine Oberfläche mittels kohäsiver Wasseraufnahme zu einer glitschigen Rutschfläche macht, auf der die Stöckelnden den Halt verlieren. Besonders perfide jagt der Pflastersteingehweg. Seine Opfer zunächst angesichts moderner Baumethoden in Sicherheit wiegend, öffnet der Pflastersteingehweg nicht nur nach Bedarf Fangritzen (siehe Kopfsteinpflaster), sondern ist darüber hinaus in der Lage, die Kanten seiner Einzelsteine individuell als Stolperfalle in Position zu bringen. Die doppelte Angriffsstrategie des Pflastersteingehwegs ist nach neuesten Erkenntnissen der Zeologen eine Reaktion auf das Überangebot an Beute vor allem in verkehrsberuhigten Fußgängerzonen, vor Schuhgeschäften und in der Nähe von Bekleidungshäusern.

Angesichts dieser Sachlage ist es den potentiellen Opfern (Absatzträgerinnen) dringend angeraten, das Territorium des Dubliner Trottoirs nur mit Gehhilfe (homo sapiens masculinum) zu betreten oder gegebenenfalls auf absatzloses Schuhwerk umzusteigen. Das Betreten des Dubliner Trottoir geschieht auf eigene Gefahr, kann aber ggf. durch Lektüre einschlägiger Onlinekurse zum Thema "Gehverhalten auf Hochabsätzen" oder durch Teilnahme an einem High-Heels-Sicherheitstraining geübt werden.

Dienstag, 7. Juni 2011

Unverbindlichkeit

Ha! Habe ich euch eigentlich jemals ein Update auf meine gescheiterten Bemühungen gegeben, in irische Freundschaften verbindliche Terminabsprachen einzuführen? Ich fasse noch einmal zusammen: Der kontinentaleuropäische Teil einer freundschaftlichen Dreierbeziehung (ich) hatte im Vorfeld einer vom inseleuropäischen Kontingent (meine beiden irischen Freunde) anberaumten Osmosesitzung in einem provinziellen Gastronomieunternehmen vergeblich versucht, konkrete Koordinaten für Treffpunkt und Zeit der Zusammenkunft bereits 14 Tage im voraus zu vereinbaren. Das ungeheuerliche Ansinnen war damals mit der Erklärung abgeschmettert worden, Zentraleuropäer deutschen Hintergrunds seien effizienzgeschädigt - Iren bräuchten sowas nicht. (Nachzulesen hier.)

Derartig in die Schranken verwiesen, wurden weitere Organisationsversuche meinerseits eingestellt. Ich machte mich zum Publikum eines irischen Sozialdramas und ließ der weiteren Entwicklung ihren Lauf. Wenige Tage vor grob anvisiertem Termin brachten die gälischen Beziehungsteilnehmer das Gespräch ohne äußeren Anstoß meinerseits auf das anstehende Treffen. Tatsächlich - auch ohne generalstabsmäßige Planung schien der Plan noch auf dem Plan zu sein? Zwar standen konkreter Treff- und Zeitpunkt noch immer nicht fest, aber Sonja schien ihren eingeborenen Freunden Unrecht getan zu haben. Der terminierte Montag rückte heran, doch bereits am vorhergelegenen Wochenende zeichneten sich Hindernisse ab: Auf Grund familiärer Unpässlichkeiten musste der ursprüngliche Ideenträger seine Teilnahme bis auf Weiteres unverbindlich machen. Er bot jedoch an, die Austragung auf seinen neuen Aufenthaltsort umzulenken. Wir einigten uns darauf, über das Treffen spontan zu entscheiden.

Am Montagmorgen kontaktierte ich den dritten Tagungsteilnehmer und informierte ihn über die geänderte Lage. Diese schien ihm hervorragend in den Kram zu passen, jedoch nicht wegen der nun durch Änderung der Lokalität einfacheren Anreise, sondern auf Grund des möglichen Ausscheidens des ursprünglichen Gastgebers. Nummer zwei hatte nämlich einen plötzlichen und nicht-aufschiebbaren Termin im eigenen Hause - das Beobachten des Briefkastens zwecks In-Empfang-Nahme einer für besagten Morgen erwarteten Paketzustellung mit fotografisch relevanten Inhalt. Enttäuscht wandte ich mich zurück an Nummer eins, um die nunmehr auf ein Tète-á-tète zusammengeschrumpfte Séance zu bestätigen. Ich könne mich zum gemeinsamen Genuss eines koffeinhaltigen Heißgetränks innerhalb kürzester Zeit bei ihm einfinden, wenn das recht sei. Rückmeldung: Sehr freundliches Ansinnen, aber man sei bereits in Kürze mit einem langjährigen Freund auf ein ähnlich gelagertes Treffen kurzfristig verabredet. Aus die Maus!

Es sollte doch nur eine unverbindliche Tasse Kaffee werden...
Fällt euch dazu noch was ein? In Anbetracht der Gesamtentwicklung konstatiere ich somit bei den Hiberno-Europäern nicht nur Verbindlichkeits-Resistenz, sondern auch geradezu hellseherischen Pragmatismus. Ein konkretes Terminieren war tatsächlich nicht nötig gewesen - die Verabredung sollte nie stattfinden. Oder ist das pragmatische Hellsehen eher mir zuzugestehen? Ich hatte in meinem damaligen Blogbeitrag geschrieben " Es könnte gut möglich sein, dass sich die Zusammenkunft kurzfristig verschiebt, oder dass einer der Teilnehmer urplötzlich verhindert ist." So kann man sich vorausschauend die Wahrheit sagen.

Sonntag, 5. Juni 2011

Nur so hingesagt

Nun habe ich insgesamt 27 Jahre Irlanderfahrung auf dem Buckel. Die letzten elfeinhalb davon im Lande lebend. Und dennoch macht mich eine Sache immer noch unsicher im Umgang mit den Iren - was ist "nur gesagt, doch nicht gemeint"? Und das bezieht sich auf die verschiedensten Themen. Drei Beispiele.

Neulich nahm ich an einer Gruppenausstellung meines Fotografiesemesters teil. Der Eröffnungsabend war ein voller Erfolg, neben Freunden und Familie der Ausstellenden waren auch einige Gesichter aus der irischen Fotografieszene gekommen. Und die Rückmeldung war positiv. Aus zweiter Hand hörte ich, dass verschiedene Ausstellungsbesucher den hohen fotografischen und künstlerischen Standard der ausgestellten Werke gelobt hatten und uns als "vielversprechend" einschätzten. Das bestätigten auch zwei Dozenten, die ich neulich bei einer anderen Ausstellung traf. Natürlich freute mich das, und ich berichtete stolz dem irischen Gatten davon. "Ach, das würde ich nicht so ernst nehmen", sagte dieser. "Das sagt man eben im Gespräch so." *boom* The bubble burst!

Am selben Abend wanderte ich einsam und allein nach dem abschließenden Clubbing nachts um zwei Uhr nach Hause. Eine schlechte Uhrzeit, zu der ich gewöhnlich - und nach nur mäßigem Getränkegenuss in der Regel philosophisch gestimmt - dunklen Gedanken nachhänge. Das muss sich auf meinen ansonsten jung-dynamischen Gang ausgewirkt haben, jedenfalls sprach mich plötzlich ein Mann an, warum "eine Frau wie ich" denn um diese Zeit alleine vom Pub nach Hause gehe? Von meinem gälischen Gatten bereits entsprechend misstrauisch eingenordet, war klar, dass die implizierte Anmache eher das Gegenteil der erwünschten Wirkung bei mir zeitigte. "Verarschen kann ich mich alleine!" Ähem, allerdings könnte es natürlich auch sein, dass er eher meinte, Seniorinnen sollten nach 21 Uhr brav im Bettjäckchen unter der Heizdecke liegen, egal wie rüstig sie aussehen?

Beim Einkaufen traf ich gestern abend einen Bekannten, mit dem ich bei mehreren Fotoshootings zusammengearbeitet hatte. Er wohnt wie ich am selben Platz und sprach davon, später noch im Park zu grillen. Ich könne gerne vorbeischauen. "Oh, gute Idee. Ich werde mal sehen, ob ich nachher mal rüber komme." Die Versuchung war da - aber der Zweifel sitzt mittlerweile tief. Und natürlich bin ich nicht mehr rübergegangen.

Ehrlich, ich finde es schwierig, mit dieser Freundlichkeit und Komplimentations-Affinität der Iren zurecht zu kommen. Als Deutsche gehöre ich eher zu der Kategorie "Was ich sage, meine ich auch". Unehrliche Komplimente zu machen, nur um eine Konversation in Gang zu halten, ist nicht mein Ding. Wozu auch - das kann im Ernstfall dazu führen, dass man Leute am Hals hat, die man lieber auf Abstand hält. Da lobe ich mir die wenigen Direktheitsagenten unter meinen irischen Freunden. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.