Donnerstag, 30. Mai 2013

Nicht auf dem Laufenden



Kennt ihr noch den Hall & Oates Klassiker Out of Touch? Meine Güte, fast 30 Jahre alt. You're out of touch, I'm out of time. Das Lied wurde offenbar für mich geschrieben. Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden, was Deutschland angeht. Das habe ich ja hier auch schon oft genug betrauert. Aber mittlerweile betrifft das auch Alltäglichkeiten - was dann zu lästigen Überraschungen führen kann.

Wie heute. Donnerstagmorgen. Der Wecker klingelt um 6.15 Uhr. Nach einer Tasse Tee und einem Kurzüberblick über sämtliche Social-Media-Aktivitäten der vergangenen zwölf Stunden setzt sich Sonja an den Computer, um ihre morgendliche Frühmeldung abzusetzen. Alles paletti - die Nachrichtenlage erstaunlicherweise einmal prall und die Artikelverteilung im Redaktionskalender noch schön offen. Ich knalle mir schnell mal vier Meldungen auf die Liste, und verschwinde dann zum Joggen.

Als ich vier Kilometer und einer Dusche später wieder an den Schreibtisch komme, ist der Redaktionskalender immer noch so menschenleer wie die Fußgängerzone am Feiertagsmorgen. *fluhupp* Mich erreicht eine Mail der Redaktionskollegen. "Heute ist in M___ Fronleichnam. Wir dachten, du weißt das. Aber du kannst gerne weiterschreiben."

*duh*!!!!!!!!! You're out of touch, Sonja. Kein Plan mehr, wann in Deutschland Feiertage anliegen. Wie auch, normalerweise ist meine Lebenswirklichkeit im Ausland davon nicht tangiert. Ob in Deutschland ein Feiertag ist oder nicht - meine Kinder müssen zur Schule und der Gatte geht zur Arbeit. Meine eigene Arbeit ist so international verstreut, dass die diversen Festtage in Deutschland, Großbritannien und Spanien in mein Bewusstsein selten vordringen. Und leider kann man sich bei einem so katholischen Land wie Irland auch nicht darauf verlassen, dass kirchliche Feiertage hier einen genauso hohen Stellenwert haben, wie in der (süd)deutschen Heimat.

So ist das, als Auslandsdeutscher im Liebesexil. Nicht so richtig da, aber auch nicht weg. Vage Erinnerungen an bestimmte im Jahreslauf hervorstechende Feiertage, aber kein genauer Plan mehr, was wann ansteht. Da muss das sonnige Gemüt aktiviert werden, um an den Widrigkeiten des Ex-Pat-Alltags mal wieder das Positive zu sehen: Ich freue mich heute über den überraschend freien Tag. Und wende mich meinen anderen Verpflichtungen zu. Denn arbeiten kann man ja trotzdem immer

Happy cadaver day, everyone.

Samstag, 25. Mai 2013

Nur in Irland (3): Geschmacksache

Ich freue mich immer besonders, wenn ich im Rahmen der [West]Randbemerkungen die etwas bizarreren kulturellen Eigenheiten, die beim Zusammenstoß deutscher und irischer Sitten und Gebräuche zu Tage treten, erwähnen darf. Es ist mir Aufgabe und Pflicht gleichermaßen, meine irlandunkundigen Leser scho-nungs-los über die Auswächse irischer Besonderheiten aufzuklären. Mitten aus dem Alltag berichte ich unter dem Einsatz meiner körperlichen Unversehrtheit direkt von der Front. Das Ex-Pat-Leben: ein endloser Härtetest. Dabei schrecke ich auch nicht vor Selbstversuchen zurück. Im Namen der Wissenschaft und der Kultur müssen Opfer gebracht werden. Die Nachwelt wird es mir danken.

Mein heutiger Beitrag müsste allerdings vielleicht eher unter dem Kapitel "Nur auf den britischen Inseln" laufen, denn die Geschmacksache, die ich heute ansprechen möchte, ist nicht allein auf Irland begrenzt. Lasst uns über die kleinen Snacks für zwischendurch sprechen. Schokolade ist hier eher nicht so köstlich wie in Deutschland. Wer an Lindt, Milka und Ritter Sport gewöhnt ist, kann angesichts von Cadbury nur trocken schlucken. Als die EU Mitte der Neunziger Jahre den Versuch unternahm, europaweite Schokoladenstandards einzuführen - auf Betreiben von Deutschland, Belgien und Frankreich sollte die Bezeichnung "Schokolade"  nur für solche Produkte gelten, die einen Kakaoanteil von mindestens 50 Prozent aufweisen - stemmte sich Großbritannien, Heimat von Cadbury's, mit aller Macht dagegen. Denn Schokolade auf den britischen Inseln ist durchweg eher Fett als Kakao.

Dafür glänzt man hierzulande in Sachen Chips. Allein die Bandbreite an Geschmacksrichtungen erregt schon das Staunen des Mitteleuropäers: Cheese & Onion, Sour Cream, Salz & Essig haben zum Teil ja bereits auch schon deutsche Supermarktregale erobert. Auch Grill- und Krabbencocktail-Geschmack sind noch nachvollziehbar. Während der WM 2010 gab es darüber hinaus beim größten britischen Chipshersteller auch so party-kompatible (und Teilnahmeländer-freundliche) Geschmacksrichtungen wie Bratwurst (Deutschland), Cheeseburger (USA), Knoblauch (Frankreich), Spaghetti Bolognese (na, wer wohl?), Teriyaki Chicken (Japan) und Irish Stew (...) im Angebot. Die beliebteste Chipssorte sind und bleiben aber Cheese & Onion Crisps.

In Irland wird die Chipsobsession derzeit auf die Spitze getrieben. Es soll hier ja viele Leute geben, die ihre Chips nicht mit einem herzhaften Dip kombinieren, sondern einem Chip einen Biss in einen Schokoriegel folgen lassen. Das ist kulinarisch in etwa in derselben Kategorie einzuordnen, wie die hinreichlich bekannten frittierten Mars-Riegel, erhältlich im Fish & Chip Shop Ihres Vertrauens. Die Zielgruppe ist wertvoll, der Markt ist groß, und so hat vor Kurzem der irische Chipshersteller Tayto seinen eigenen Schokoriegel auf den Markt gebracht.


Jawohl, richtig gelesen. Schokolade mit Cheese & Onion Crisp-Geschmack. Milchschokolade mit kleinen Cheese & Onion Crisp-Krümeln. Der selbstlose Selbstversuch kostete Überwindung. Aber das freundliche Gesicht des Tayto-Männchen kann über die Inkompatibilitäten dieser grausamen Geschmackskombination nicht hinwegtäuschen: Negativ. Abgesehen von der zahnlückenunfreundlichen, irritierend knusprigen Krümelkonsistenz der Schokolade, ergeben Zwiebelaroma und Schokoladensüße einen Geschmackswiderspruch, der einem die Tränen in die Augen und die Magensäure unwillkürlich in den Mund treibt. Grauenhaft. Wo die Zwiebel nach Hauptgericht schreit, ist die Schokolade schon beim Dessert angekommen. Das ist ähnlich lecker wie das Mousse au Chocolat, das seit zwei Tagen in einem Kühlschrank lagert, der ein Kilo rohe Zwiebeln beherbergt. Bleurgh. International dürfte sich dieser kulinarische Tiefpunkt wohl kaum durchsetzen. Da danken wir doch ausnahmsweise einmal der Erdgeologie, die Irland seine insulare Isolation beschert hat. Denn so etwas muss man nicht unbedingt exportieren. Guter Geschmack ist etwas anderes.


Donnerstag, 23. Mai 2013

Es grüßt die Krypta

Man wird ja nicht jünger. Mit Über-40 steht man quasi schon mit einem Bein in der Krypta. Da liegt der Gedanke an die Rente nahe. Nein, ich scherze nicht, vor allem als Ex-Pat muss man gelegentlich der eigenen Sterblichkeit direkt ins Auge starren und sich Gedanken über die Zukunft machen. Denn irgendwie ist man ja als Ausländer nicht Fisch nicht Fleisch. Ein paar Jahre hat man noch in der Heimat gearbeitet, und dann zog es einen in die Ferne. Was ist mit den Rentenansprüchen, die man sich beim Interimsjob an der Käsetheke bei Edeka-Bollmann erarbeitet hat?

Gut, mit 30 hat mich das nicht stärker interessiert, als wenn Miami-Kalle seine deutsche Rente in floridische (?) Alligatorenrachen wirft. Aber neulich kamen wir mal im Gespräch mit zwei Leidensgenossinnen - deutsche Freundinnen, die in Irland beziehungsweise Frankreich leben - drauf. Fassungslosigkeit machte sich breit, als uns klar wurde, dass wir im Alter in Deutschland Sozialhilfeempfänger werden würden. Denn wo nix eingezahlt, da nix rauskommt. Und bevor der deutsche Staat übrigens die Kohle locker macht, wird erstmal das Eigentum einkassiert. Eigentlich ja auch alles logisch so - sicher kann es nicht angehen, dass man sich auf Staatskosten einen faulen Lenz macht, während man sich in seiner jahrelang angesparten Villa luxuriös verköstigt. Nur dass wir im Normalfall vermutlich keine Immobilienschätze angehäuft haben werden.

Erstaunlicherweise sieht es in Irland für mich rosiger aus als in meiner Heimat, deren Ruf ich durch Blut und Boden gestern noch so pathetisch gefolgt bin. In Irland gibt es eine Staatsrente. Die gilt für alle, auch für Nicht-Iren, sofern sie ihren Lebensmittelpunkt nachweislich seit einer bestimmten Zahl von Jahren in Irland haben. Reich werde ich mit meiner irischen Staatsrente allerdings auch nicht mehr - bei rund € 200 pro Woche kann man davon keine großen Sprünge machen. Das System beruht in Irland eindeutig darauf, dass der Normalbürger Immobilieneigentum besitzt. Dieser wird in die Rentenberechnung auch nicht eingerechnet - mit dem Verlust des Hauses muss man hier nicht rechnen. Kein Wunder, denn mit rund € 200 pro Monat kann man auch als genügsamer Rentner nur auskommen, wenn man keine Mietausgaben hat.

Kinder - Investition in die Zukunft (meiner Rente)
Ob das alles noch Bestand haben wird, wenn wir einmal ins Rentenalter kommen? Wer weiß, ob es bis dahin überhaupt noch einen Generationenvertrag gibt. Der Staat tut ohnehin das seinige, sich aus der Rentenpflicht herauszulawieren. So wurde in Irland beispielsweise die stufenweise Anhebung des Rentenalters bereits beschlossen. Ab 2028 liegt das Einstiegsalter bei 68 Jahren. Gut, dann habe ich ja noch 25 Jahre, um hier ein bisschen Kohle zur Seite zu schaffen. Oder ich lege doch noch ein paar Kinder nach? Die sollen ja die beste Altersvorsorge sein. Dafür wird dann wohl in meinem Alter eine Hormonbehandlung nötig. Andererseits: Keine schlechte Sache, denn die resultiert ja oft in Mehrlingsgeburten. Wie wäre es mit fünf auf einen Schlag? Nicht gut für das ohnehin schon fadenscheinige Nervenkostüm. Allerdings mit allerlei staatlicher Unterstützung abgesichert (das Kindergeld staffelt sich nach Kinderzahl nach oben, juhu.) Und mit insgesamt sieben Kindern dürfte die Rente dann doch tatsächlich gesichert sein? Ich bin dann mal weg und mache ein paar Einzahler in die Rentenkasse der Zukunft.

Mittwoch, 22. Mai 2013

Deutsch-Sein - Irisch-Sein

Meine virtuelle Freundin Servetus hat mich mit ihrem Kommentar zum Post "Irlandliebe" zum Nachdenken gebracht. Dort schrieb sie, dass es in den USA positiv belegt ist, irische Vorfahren zu haben. Das kann ich gut nachvollziehen. Die Iren muss man eigentlich lieben: Man hält sie für freundlich und aufgeschlossen, sie reden gern und mit jedem. Einem guten Tropfen sind sie nicht abgeneigt. Sie haben die Weltliteratur mit einigen hochkarätigen Schriftstellern beglückt und ihren einzigartigen Stempel auch der Musik aufgedrückt. Ich sage nur Eurovision Song Contest. Haha, Scherz, nein, ich meine damit eher so einflussreiche Bands und Musiker wie U2, Rory Gallagher oder The Pogues und Westlife, haha, nein, ich scherze schon wieder! Dazu kommt, dass die  Iren ein wahrhaft magisch schönes Fleckchen Erde ihr Zuhause nennen können - landschaftlich beeindruckend und an die Seele appellierend. Die Tatsache, dass Irland welt- und geopolitisch dagegen eher am Rande liegt, ist dabei kein Nachteil - ein so kleines Land wirkt niemals bedrohlich, hat noch niemals versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen und ist niedlich-neutral. Mit einem irischen  Pass kann man überall hinfahren - und wird überall gern gesehen (sogar in Großbritannien, wo man mittlerweile die Iren auch nicht mehr ausschließlich als lästige Anhängsel mit terroristischen Neigungen wahr nimmt...).

Burgen, Berge, Schlösser und alles schön ordentlich. 
Manchmal, ja manchmal, betrachte ich diesen rundweg positiven Ruf der Iren in der Welt mit Wehmut. Als Deutsche meiner Generation ist diese beschauliche, vielleicht auch etwas herablassende Sichtweise einer Nationalität geradezu beneidenswert. Die Hypothek meines Landes liegt mir schwer auf den Schultern. Das hat sicher damit zu tun, dass ich dank meines Historikerhintergrundes immer schon die deutsche Vergangenheit sehr persönlich und intensiv gespürt habe und dementsprechend die Wirkungsweise und auch die Reaktionen auf Deutsch-Sein empfindlich wahr nehme. Manchmal hindert mich das im Umgang mit anderen Nationen. Die deutsch-französische Erbfeindschaft scheint mir im Blut zu legen, wenn ich daran denke, wie unreflektiert ich gelegentlich auf Frankreich oder die Franzosen reagiere. Schande auf mich! Oder führt zu vorauseilendem Gehorsam, wenn ich vorschnell annehme, dass jemand Probleme damit haben könnte, dass ich Deutsche bin. Aus Deutschland zu kommen, bedeutet auch heute vorurteilsmäßig immer noch, mit den typischen "Primärtugenden" in Verbindung gebracht zu werden: Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit. An sich erstrebenswert und positiv (oder kommt mir das nur vor, weil ich selber so sozialisiert worden bin, diese Charakteristika als positiv zu empfinden?). Daneben stehen aber auch Humorlosigkeit und Sachlichkeit, Arbeitsethik und gefühllose Effizienz. Eben ein bisschen "ernst", wie Serv es beschrieb. Um das Deutsch-Sein wird man nicht beneidet - ums Irisch-Sein schon.

Idylle wohin das Auge reicht. Wirklich, Irland?
Dabei könnte ich auch zum Irisch-Sein einige erhellende Beiträge abgeben. Vielleicht auf Grund ihrer insularen Isolation sind die Iren oftmals der Kirchturmpolitik zugeneigt. Über den Tellerrand schaut man hier nicht unbedingt heraus - was sich in der beschaulichen Nachrichtenberichterstattung im Lande zeigt. Das Land hat darüber hinaus noch einige Arbeit vor sich, was beispielsweise den Umgang mit Alkohol angeht. So idyllisch das Bild des betrunkenen Iren auch sein mag - in Dublin äußert sich das jedes Wochenende mit wahrhaft unappetitlichen Szenen, vor allem nach Sperrstunde.

Dennoch, manchmal erscheint es mir erstrebenswert, meinen deutschen Pass abgeben zu können und mich der Nation meines Gastlandes anzupassen. Das sind Momente der Schwäche und Frustration - zum Beispiel wenn mir meine 12-jährige Tochter erzählt, dass die Gegnermannschaft in der Schüler-Fußball-Liga ihrem Team mit dem Hitler-Gruß begegnet ist, oder dass man die Schüler der deutschen Schule "Little Nazis" schimpft. Wirklich? 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs? Da ist sie, die Hypothek, von der ich oben schrieb. Herkunft lässt sich nicht abschütteln.

Und eigentlich will ich das auch nicht. Zwar bin ich längst lange genug in diesem Land, dass ich die irische Staatsbürgerschaft annehmen könnte. Und zur Partizipation an der politischen Meinungsbildung in meinem Gastland, dessen Gesetzen ich unterliege und in dem ich meine Steuern zahle, hätte ich diese auch gerne. Tief drin in mir weiß ich aber, dass ich keine Irin bin. Und auch niemals eine sein werde, egal wie sehr ich mich an die Gepflogenheiten in meinem Gastland angepasst habe. Längst bin ich nicht mehr so ordentlich, pünktlich und fleißig, wie man es vielleicht in Deutschland von mir erwarten würde. Ich gehe mit Treffpunktzeiten leger um, habe eine hohe Toleranzschwelle, was eine ordentliche Wohnung angeht und erlaube mir, nicht alles perfekt zu machen. Aber deutsch bleibt deutsch, das Land meiner Eltern, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich studiert habe und wo immer noch zahlreiche meiner Freunde leben, ist in mir verankert. Bei aller Kritik und trotz der festen Überzeugung, nicht mehr in Deutschland leben zu wollen, fühle ich mich dennoch Deutschland verbunden. Richtig erklären kann man das wohl nicht. Nur ein bisschen mehr Wohlwollen Deutschland gegenüber, das würde ich mir wünschen.

Montag, 13. Mai 2013

Irlandliebe

Die Tourismussaison hat wieder angefangen. Auf dem Weg zum Einkaufen bin ich gestern mal wieder in zehn verschiedene Urlaubsfotos spaziert. Das ist das Los der Anwohner am Touristenpfad. Interessant, wie man auch aus 50m Entfernung sofort feststellen kann, aus welchem Land die Touristen stammen. Beige Popelinejacken, unter den Arm geklemmte "Detlevs" (Herrenhandtaschen), Socken in Sandalen: Deutsche. Sonnenbrillen, dunkle Haare, schicke Aufmachung: Spanier. Baseballkappen, grüne Blousons und Slacks zu Turnschuhen: Eine Busladung Amerikaner.

Vor allem letztere Gruppe fährt besonders gerne nach Irland. Gehört es zum amerikanischen Initiationsritus, einmal im Leben nach Irland gefahren zu sein? Ich scherze ja immer, dass die Amerikaner in Irland alle auf der Suche nach ihren Wurzeln sind. Angesichts der Tatsache, dass knapp 12 Prozent der US-Amerikaner bei einer aktuellen Volkszählung angaben, irische Vorfahren zu haben, dürfte das nicht wundern. So betrachtet gibt es allein in den USA sechsmal so viele Iren wie im Stammland (36 Millionen : 6 Millionen Iren in Irland)! (Interessant: Nur die Gruppe der US-Amerikaner mit deutschen Vorfahren ist größer als die der Irish-Americans!!)

So sehr man auch manchmal über die Faszination "der Amerikaner" (ich verallgemeinere!) mit Europa schmunzelt, eigentlich ist es erfrischend, dass unsere kleine Insel von den Amerikanern so positiv wahrgenommen wird. Wo innerhalb Europas derzeit Irland eher als ein Schimpfwort zu verstehen ist - schließlich hat Irland mit dem Kollaps der Anglo-Irish Bank im Jahr 2008 maßgeblich den Anstoß zur Rezession gegeben - ist für die meisten Amerikaner Irland positiv belegt. Ich erlebe das oft auf verschiedenen sozialen Plattformen, auf denen ich mich herumtreibe. Erwähnt man nur nebenbei, dass man in Irland lebt, gibt es sofort freundliche und oftmals gar neidische Rückmeldung.


Neulich stellte ich einmal ein Sonnenaufgangsfoto in eine Facebook-Gruppe. Das Echo war überwältigend. "Ich wollte schon immer einmal nach Irland." "Ich liiiiiebe Irland." "Letztes Jahr war ich auch in Dublin. Wunderschön." "Wenn ich genügend Geld gespart habe, fahre ich auch nach Irland!" Der Tenor ist immer derselbe: Was für ein Glück, dass du in Irland leben darfst.

Glaubt mir, liebe Kommentatoren - ich bin mir meines Glücks bewusst. Selbst wenn es hier schon um 9 Uhr morgens hagelt, die Iren in zweiter Reihe parken und es kein Recycling-Klopapier gibt: Irland ist wunderschön, und als hereingeschneiter Ex-Pat freue ich mich jeden Tag über das Privileg, hier leben zu dürfen. Aber ihr dürft mir ruhig immer wieder sagen, wie sehr ihr mich beneidet, dass ich hier wohne, denn Neid kann auch schön sein: Der Neid und die positive Rückmeldung der anderen ist quasi die Bestätigung der eigenen Lebensentscheidung. Und den Amerikanern gebe ich das Kompliment zurück: Man kann über euch sagen, was man will, aber euer Irland-Enthusiasmus ist erfrischend. Bei mir seid ihr herzlich willkommen.

Sonntag, 12. Mai 2013

Nur in Irland: Unwiderstehliche Verbote

Eine meiner Lieblingsszenen aus der Kultserie "Father Ted" findet in einem Flugzeug-Cockpit statt. Ted und sein Priesterkollege Dougal sind auf dem Rückflug von Lourdes und statten dem Cockpit einen Besuch ab. Ein großer roter Knopf erregt Dougals Aufmerksamkeit. "Nicht drücken". Für einen Mann mit dem geistigen Horizont eines Fünfjährigen ist das allerdings eher eine Aufforderung als eine Warnung. Man kann sich denken, was folgt...

Wie bei allen Parabeln ist auch an "Father Ted" einiges Wahres dran. Nicht, dass alle Iren den geistigen Horizont von Fünfjährigen hätten obwohl das in Ausnahmen tatsächlich der Fall ist *ahem*, aber meine liebenswerten Gastgeber haben eine Tendenz dazu, Verbote als Aufforderung zu verstehen, genau das zu tun, was nicht erwünscht ist. Beweismittel Nummer 1:


Eine Szene, mitten aus dem Leben gegriffen. Tatort: Mullaghmore Harbour, vor genau vier Wochen. Wunderbar. Man muss sie doch einfach lieben, diese knallharte Ignoranz, was Verbote angeht. Mit einem Augenzwinkern wird das Auto einfach fett vor das Verbotsschild geparkt. Und nicht nur unter Verbotsschildern wird frech geparkt. In Irland parkt man auch in zweiter Reihe in der Kurve einer stark befahrenen Nationalstraße, wenn man schnell in einem Laden etwas kaufen will und kein passender Parkplatz in Schrittnähe frei ist. Oder gegen den Verkehr, wenn auf der eigenen Straßenseite gerade kein passender Parkplatz frei ist. Wen kümmert es schon - schließlich ist man ja selber dafür verantwortlich, hinterher das Genick zu verrenken, um beim Ausparken wieder auf die richtige Spur zu kommen.

Ich selbst bin immer noch zu deutsch um Verbote schriftlicher Art zu ignorieren. Das daaaaaaaaf man doch nich!!!! Immerhin stelle ich aber fest, dass sich nach fast 14 Jahren Irland meine Toleranzgrenze nach oben verschoben hat. Statt mich über die Ignoranz zu ärgern, sehe ich das Ganze heute mit Amüsement. Und gebe den Iren Recht, die den deutschen Ordnungswimmel als skurril betrachten. Man kann es auch übertreiben. Und das Leben ist zu kurz, um von einem weit entfernten Parkplatz bis zum Geschäft noch zwei Kilometer zu Fuß gehen zu müssen. Es leben die unwiderstehlichen Verbote!

Donnerstag, 9. Mai 2013

Das kann teuer werden...

Im vergangenen Jahr hatte ich im Sommer hier bereits einmal eine kleine Serie mit touristischen Insidertipps angefangen, mit denen ich den Bloglesern, die noch nicht in Irland waren, aber einmal hierher fahren wollen, ein paar handfeste Empfehlungen an die Hand geben wollte. Nicht ganz dasselbe Kaliber hat meine heutige Empfehlung - die ist vielleicht auch etwas für die hier Ansässigen meiner Leser - eine Eloge auf ein kleines verstecktes Juwel, bei dem sich ein kleiner Einkauf mit einem schönen Tässchen Tee verbinden lässt.

Dass ich eine Basteltante bin, wissen die meisten von euch ja. Ein besonders schöner Shop, den ich immer gerne (aber selten) aufsuche, ist Daintree Papers in Dublins Camden Street. Ein gefährlicher Laden. Daintree verkauft Papierwaren - und zwar so schöne, dass man dort unter 20 Euro selten herauskommt *lach*. So auch gestern. Unter den wunderschönen Notizbüchern, bunten Briefumschlägen und zarten Bastelpapieren sind so viele unwiderstehliche Sachen, dass man quasi schon beim Betreten des Ladens verloren hat. Gut, dass es bei Daintree immer die "Wundertüten" gibt - eine große Papiertüte, die mit Restumschlägen, Papier und Schleifenresten gefüllt ist. So eine Wundertüte und eine Rolle Washi-tape wanderten gestern in meinen Einkaufskorb. Und das, obwohl ich gar nichts einkaufen wollte.

Ich war nämlich eigentlich zum Kaffeetrinken dort. Wenn man den Laden durch die Hintertür verlässt, betritt man einen grün bewachsenen Hinterhof. Dort, geschützt von Wind und Regen, ist in einem Hinterhaus ein ganz reizendes kleines Café untergebracht. Das Cake Café ist wie eine Oase in der geschäftigen Camden Street. Bei Sonnenschein saß ich dort gestern zum ersten Mal in diesem Jahr bei einem Tee draußen. Dazu gibt es selbstgebackene Kuchen. Serviert wird auf kunterbunt zusammen gestelltem Vintage-Geschirr. Mein Chocolate Brownie auf Rosenteller schmeckte mit meinem Breakfast Tea in der Goldrandtasse besonders gut.

Außerdem gibt es im Café interessante Souvenirs zu kaufen. Pink ist zwar nicht unbedingt meine Farbe, aber dem Zierteller (weia, ist Sonja schon vorzeitig gealtert? Zierteller sind ja eher in der Rentnerbude zu erwarten) konnte ich dank seines Dublin-Designs nicht widerstehen. Das ideale Geschenk auch für die Irlandfans, die schon alles von Irland-Kalender über Aran-Handschuhe bis Guinness-T-Shirt als Mitbringsel erhalten haben.

Beim nächsten Treffen dran denken - wir setzen uns in den gemütlichen Hinterhof von Daintree. Tea time has never been nicer.


The Cake Café
The Daintree Building
Pleasants Place, off Camden Street
Dublin 8 
Mo - Sa ab 8.30 Uhr

Samstag, 4. Mai 2013

Grüße direkt vom Landleben

Es ist schon erstaunlich, dass man heute nirgendwo in Irland mehr von der Zivilisation abgeschnitten ist. Häuser stehen überall in der schönen irischen Landschaft, angebunden an Stromnetz und Wasser, kaum mehr ein Schotterweg, der zur letzten Hütte vor dem Atlantik führt. Der Mobilfunk erreicht den entlegensten Sumpf.
Great Sugarloaf, morgens um 8 Uhr, auf der Joggingrunde
Über dem Ofen in der Küche
Vor 12 Jahren war das noch etwas anders. Damals fuhren wir zum ersten Mal, recht kurz nach der Geburt von T___, zum Einhüten auf die Farm unserer Verwandten in den Wicklow Mountains. Eine Stunde von Dublin entfernt war das ein Eintauchen in die Vergangenheit - eine Farm mit Pferden, Rindern, Schafen und Hühnern. Beim ersten Mal habe ich noch geschluckt. Das allerdings auch, weil ich dank des gerade geborenen Töchterchens noch an der Melkmaschine hing. (Das Pumpgeräusch verfolgt mich heute gelegentlich noch bis in meine Alpträume. Und dabei handelt es sich bei der Farm K___ nicht mal um eine Milchwirtschaft...) In K___ ist es immer fünf Grad kälter als in Dublin, aber eine Zentralheizung gibt es hier nicht. Die Küche wird genau wie vor 90 Jahren, als das Haus von der Urgroßmutter meines GäGa bezogen wurde, mit einem Kohle befeuerten Ofen beheizt und bekocht. Mikrowelle und Elektroherd fehlen ebenfalls.
Nach K___ zu fahren, ist immer ein kleiner Ausstieg. Zwar habe ich dieses Mal der Versuchung nicht widerstehen können, meinen handlichen Laptop einzupacken, und zu meinem großen Erstaunen stelle ich fest, dass im Hause offenbar Wlan installiert worden ist, aber mir fehlt dazu der Zugangscode. Also doch einmal ganz raus aus dem üblichen Alltag, bei dem der PC und das Internet niemals außer Reichweite sind? Allein die Stille auf der Farm ist schon ohrenerfrischend. Das einzige Rauschen, das hier gelegentlich durch die Fenster dringt, ist der Wind, der durch die mächtigen Bäume weht, die das Haus umgeben. Manchmal wiehert eines der Pferde, oder ein Rind brüllt unheimlich. Nachts sind für Stadtkinder alle Geräusche fremd. Und werden in der Stille amplifiziert, so dass das Klicken der Tastatur unerträglich laut erscheint, genauso wie der Himmel dunkler ist als in der Stadt. Nicht ein Licht dringt über die Felder zu unserer Farm.
Als Teenager konnte ich mir nichts
Morgens um halb 8, der Blick von meinem Bett
Schöneres vorstellen, als in abgeschiedener Einsamkeit, umgeben von Schafen und Büchern, zu leben. Neuseeland war mein Traum. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mich so wohl fühlen würde. Nach 13,5 Jahren Dublin-Zentral bin ich zivilisationsgeschädigt. Ohne ständige Straßenbeleuchtung, die auch nachts um 2 Uhr mein Schlafzimmer illuminiert, fühle ich mich unsicher. Die kontinuierliche Nähe von anderen Menschen ist zwar irritierend, aber vermittelt doch auch ein Gefühl von Sicherheit. Auch wenn es wahrscheinlicher ist, in der Stadt einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen: Immerhin bleibt die naive Illusion, dass man gehört werden würde, sollte man um Hilfe rufen müssen. In K___ hören mich nur Molly, Tatty und Bess - Pferd, Katze und Esel. Für einen Kurzurlaub ist es immer herrlich - aber ich freue mich, wenn ich wieder nach Hause zurückkomme, nach dear dirty Dublin.
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