Sonntag, 30. Oktober 2011

Trampled Underfoot

Eigentlich wollte ich euch heute morgen in gewohnt ironisch-distanzierter Art über die Ergebnisse der irischen Präsidentenwahl informieren. "Nur noch eben kurz zum News Agent gehen und eine Sunday Times kaufen", dachte ich mir. Und dann hatte ich ein kleines Erlebnis, das die Verhältnisse in diesem Land auf ganz andere Art und viel eindringlicher beleuchtet, als es ein Kommentar zur Wahl von Michael D. Higgins zum neunten Präsidenten der irischen Republik täte.

Ich war wie gesagt auf dem Weg zum Shop um die Ecke. Schon auf dem Weg zum Laden war mir ein junger Mann aufgefallen, der mir entgegenschlenderte und mich zaghaft angelächelt hatte. Ich dachte mir nichts dabei - außer dass ich vermutlich unwiderstehlich gut aussehen müsse, wenn mich junge Männer anlächeln.

Mit meiner Zeitung unter dem Arm trat ich kurz darauf wieder aus dem Laden heraus. Und kaum drei Schritte gegangen, kam mir der junge Mann von vorher wieder entgegen. Als wir auf gleicher Höhe waren, sprach er mich an. Ich dachte, es handle sich um einen Touristen, der mich nach dem Weg fragen wolle, und stöpselte meine Kopfhörer aus den Ohren. Er konnte mir kaum in die Augen gucken, lächelte schüchtern-traurig und sagte dann sehr leise, fast tonlos: "Hallo, es tut mir wirklich leid, dich ansprechen zu müssen. Aber ich bin in einer schwierigen Lage. Ich habe kein Geld und ich brauche etwas für eine Obdachlosenherberge heute nacht. Kannst du mir helfen?"

Die Zeiten sind schlecht. Auch ich bin bei weitem nicht so finanziell sorglos wie ich das vor drei Jahren gewesen bin, in den Vor-Crash-Zeiten. Und doch griff ich ohne zu überlegen in meine Handtasche und zog aus meinem Portmonnee einen Fünf-Euro-Schein und reichte ihn dem jungen Mann. Er blickte mich überrascht an. "Bist du sicher?" Ich nickte. "Wirklich?" "Ja, klar." Er sah mir in die Augen und meinte "Du hast gerade meinen Tag gerettet. Du bist die erste, die überhaupt stehen bleibt, um mich anzuhören. Ich danke dir." Ich wünschte ihm noch viel Glück und ging dann weiter.

Vielleicht bin ich naiv und lasse mich einfach übers Ohr hauen. Möglicherweise ist der junge Mann ein guter Schauspieler und hat einen Trick gefunden, wie er weichherzigen Frauen im mittleren Lebensalter die Penunzen aus der Tasche ziehen kann. Und fünf Euro sind heute für mich durchaus Geld, das ich nicht unüberlegt rauswerfe. Aber in diesem Moment waren sie für mich nur die Zahl auf einem Stück Papier. Denn ich habe so viel anderes, das unbezahlbar wertvoll ist, und dieser junge Mann hat das nicht. Nirgendwann anders als heute war mir das je so klar. Meine Eltern befinden sich zur Zeit zu Besuch bei mir. Sie haben mir zum Geburtstag, der demnächst ansteht, ein Geschenk mitgebracht, das ein Vielfaches der fünf Euro kostet, die ich dem jungen Mann gegeben habe. Geld? Schall und Rauch! Familie, Freunde und ein Dach über dem Kopf: Das ist Alles! Wie leicht es einem fällt, sich von (ein bisschen) Geld zu trennen, wenn einem das wieder einmal bewusst wird.

Und erst recht, wenn gleichzeitig auf dem iPod gerade ein Lied namens "Trampled Underfoot" läuft, wie passend (mal ansonsten von den Lyrics abgesehen)! Auf mir trampelt niemand herum, deswegen kann ich jemandem, der von den Umständen des Lebens offenbar ganz anders betroffen ist als ich, wenigstens so aushelfen. Und ich habe nicht nur ihm den Tag gerettet, sondern er auch mir - denn die Perspektive ist mal wieder gerade gerückt worden. Danke.

1 Kommentar:

  1. Na, das hat doch eine ganze Gedankenkette bei mir in Bewegung gesetzt ... zuerst hat mein innerer Zyniker ja gesagt: "NaJA,was wird DAS wohl wieder gewesen sein?!" Was wirds gewesen sein - wohl wirklich ein Junge, der Geld brauchte und dem Du den Tag gerettet hast! Sowas solls ja geben, huch, sogar bei uns. Und dann dachte ich an die verschiedenen Leute, denen man so begegnet - der Vater, der mit den Porsche-Aktien seiner vierjährigen Tochter prahlt, weil: "Geld ist ja das Wichtigste überhaupt", und auf der anderen Seite die Freunde, die sich zur T(r)aufe eben keine Kohle fürs Kind gewünscht haben, sondern Brunnen oder Ziegen in Afrika, also: Spenden. Naiv? Nein. Ich glaube, sie haben ihrem Sohn damit einen größeren Gefallen getan als mit einem dicken Konto. So. Ende Wort zum Sonntag.
    ps: Liebe Sonja: Happy Birthday!! Alles alles Liebe!!

    AntwortenLöschen