Sonntag, 11. August 2013

Country Living

Was in Deutschland erst in den letzten Jahren so richtig zur Blüte gekommen ist, gibt es im anglophonen Sprachraum schon lange - eine Vielzahl an Magazinen, die das ländliche Leben preisen und vor allem mit schönen Fotos von noch schöneren rustikalen Interieurs die Städter-Sehnsucht nach abgescheuerten Holztischen und ausgetretenen Granitböden bedienen. Ich bin eigentlich eher für das modern-minimalistische Interieur zu haben, gerne auch im eklektischen Zusammenspiel mit ein paar ausgesuchten Designerstücken, aber da wo es hinpasst, ist so ein traditioneller Look schon wirklich schön. Meistens jedoch, hat man das Gefühl, dass die Inneneinrichtung ausschließlich zum Angucken gemacht ist. Hinsetzen verboten. Und schon gar nicht auf den malerisch abgenutzten Küchentisch kleckern. Das passt farblich nicht zum kunsthandwerklichen Töpfer-Teeservice.

Selten hat man jedoch mal das Glück, so ein Interieur "in echt" zu erleben. Man muss nur die richtigen Freunde haben. Da lob ich mir mal wieder die Iren. Die sind in dieser Hinsicht doch meistens sehr unkompliziert, und so durften wir vergangene Woche das wundervoll renovierte Farmhouse von unserem Freund S___ in Co. Armagh zum Urlauben beziehen.

Straight out of 'Country Living'
Angesichts so eines historischen Innenlebens macht es dann auch gar nichts aus, wenn es mit dem Internetzugang hier nicht klappt. Statt dessen gab es Sommerwetter mit milden 22 Grad und Sonnenschein satt. Da es auf der Farm nicht prätentiös zugeht, bauten wir uns schnell eine kleine Terrasse auf den Rücken des "drumlin" (so nennt man die charakteristischen, schmalen Hügel, die in Nordirland die Landschaft prägen), an dem die Farm liegt. In der Scheune der Farm gab es zahlreiche Industriepaletten, die einen perfekten Holzboden ergaben. Hier im Bild, sieht man sie gerade mal noch:

Country Living - macht Spaß. Freiheit für die Kinder, die im Schlafsack unter den Sternen übernachteten, und die Eltern, die ihren abendlichen G&T gepflegt auf der Terrasse einnahmen. So muss Sommer sein. Und wer glaubt, dass das eine Ausnahme ist und es in Irland immer nur regnet: Nein. Irland ist einfach unbeschreiblich schön und hat zahlreiche Sonnenstunden. Nur gelegentlich mal unterbrochen von einem schnellen Schauer. Eben nichts für Weicheier und Schönwetter-Cabriofahrer. Aber ein bisschen Zivilisations-resistent muss man schon sein. Ansonsten sollte man doch nur bei den bunten Bildchen in "Landlust" bleiben.

Samstag, 10. August 2013

Wandern mit den P___s

Sagte ich in meinem letzten Beitrag etwas von "ich weiß nicht, wann ich wieder posten werde"? So ein Unsinn. Wie konnte ich vergessen, dass ich eine irische Schwiegerfamilie habe. Und diese gibt immer wieder Gesprächsanlass. Erst recht, wenn man mehrere Tage mit (Teilen) dieser Familie unterwegs ist. Scheinbar habe ich in langjähriger Arbeit bei meinem gälischen Gatten die Auswüchse familiärer Exzentrizität bereits abgeschliffen. Im Zusammenspiel mit einem oder mehreren Familienangehörigen jedoch bricht dann das P___-Blut wieder voll aus ihm heraus. Es lebe der Kulturunterschied.
Aus der Serie "Wandern mit den P___s" hier Teil XY. Wir befanden uns auf einem Ausflug an einen der schönsten Fleckchen Irlands. Nach dem Lunch an einem wunderschönen Strand, bei dem wir Besuch von ein paar neugierigen Kühen erhielten, die sich in den Atlantikwellen offenbar abkühlen wollten, hatte der Urlaubsrat beschlossen, mit der gesamten Truppe nun den Giant's Causeway zu besichtigen. Wir waren sechs Erwachsene und acht Kinder im Alter vo 14 bis acht. Angesichts von Eintrittspreisen von acht Pfund für Erwachsene und fünf Pfund für Kinder, wollten wir die 80 Pfund lieber sparen. (In der Truppe wird Geld vorzugsweise in gutes Essen umgesetzt.) Schwager kannte die Gegend von einem kürzlichen Wochenendtrip und steuerte uns an einen Parkplatz, von dem ein Klippenweg von hinten an den Giant's Causeway heranführte. 
White Park Bay, Co. Antrim
 Das Eindringen ohne Bezahlen in irische Kulturstätten hat in der P___ -Familie Tradition. Das Argument dabei ist, dass die Kulturstätten schließlich allen gehören - und es eine Frechheit ist, dafür auch noch exorbitante Eintrittspreise abzugreifen. Das spricht den Geizhals in mir durchaus an. Insofern war ich auch gerne bereit, auf den Klippenweg zu gehen, um dezent in den Naturpark einzubrechen und mich daran zu freuen, die Eintrittspreise umgangen zu haben. Leider wurde uns der britische Hang, das Empire auch heute noch in Form von empirischen Maßeinheiten auszuleben, dabei zum Verhängnis. Wer weiß schon, wie lang 4,5 Meilen sind? Das wissen nicht mal die metrisierten Iren. Bei herrlichem Wetter liefen wir im Gänsemarsch am Klippenrand über dem Atlantik entlang. Über uns die Sonne, grüne Gräser zu Füßen, das azurblaue Wasser bis zum Horizont, wo uns Schottland herüberwinkte. Wunderschön.
Doch selbst der schönste Weg wird irgendwann zur Tortur, wenn das anvisierte Ziel partout nicht in die Nähe rücken will. Oder wenn man als Deutscher mit einem Pünktlichkeitsgen ausgestattet ist, das mit jeder fortrückenden Minute immer lauter darauf hinweist, dass der letzte Einlass in die Kulturstätte immer näher rückt. Und dass man den Weg, den man hingeht, auch zwangsweise wieder zum Auto zurückgehen muss.
Für Menschen aus dem P___-Genpool ist so etwas nur eine Nebensächlichkeit. Für mich dagegen sind solche den Gesetzen der Logik unterliegenden Tatsachen essentielle Planungseckpunkte. Ich gehe um 16 Uhr nicht auf einen Klippenweg ungenauer Weglänge, wenn ich weiß, dass um 17 Uhr am Zielpunkt dicht gemacht wird. Und wenn ich besagten Klippenweg auch wieder bis zum Parkplatz am Ausgangspunkt zurücklatschen muss. Dummerweise befinde ich mich bei meiner Schwiegerfamilie einfach in Unterzahl. Da bleibt meistens nur die gute Miene zum bösen Spiel - was für verwöhnte Einzelkinder, die mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet sind die glauben, dass sie es besser wissen), nicht ganz einfach ist. Ich sollte mir für solche Fälle eine Beißschiene vom Zahnarzt machen lassen.
Eine Stunde nach Abmarsch lag wieder eine weitere Klippennase vor uns, von der wir alle geglaubt hatten, dass sie die letzte sei. Der Atlantik war mittlerweile nicht mehr Riviera-azurblau sondern langweilig bleigrau, die Sonne erwärmte nicht das Gemüt, sondern die Achselhöhlen, und die Möwen kreisten nicht, sondern sie kreischten... nervtötend. Wir beschlossen, uns von den nächsten uns entgegen kommenden Wanderern bestätigen zu lassen, dass der Causeway nur fünf Minuten entfernt sei. Pustekuchen. Eine weitere Stunde, informierte uns der freundliche Wanderer. Der gälische Gatte - die unguten Vibrationen aus dem teutonischen Seelengefäß spürend - beschloss, sich zu opfern. Er gehe jetzt zurück zum Auto, damit er die Gruppe später am Eingang zum Causeway treffen und nach und nach zum Parkplatz zurück kutschieren könne. Fröhlich-freundlich nahm der Rest der Familie das Angebot - noch nicht mal gebührend demütig - entgegen. Schließlich hatte mein Schwager den Mist verbockt. Eigentlich hätte er der Fairness halber zurück latschen müssen, zudem er den Causeway bereits gesehen hatte, der GäGa jedoch nicht. Ich war auch schon mal dagewesen. Vor 22 Jahren. Mit der archäologischen Gesellschaft des University College Dublin, im Jahr 1991. Gelegenheit, die negativen Vibes in voll ausgewachsenes Märtyrertum zu überführen. Schließlich konnte ich den GäGa ja nicht alleine über den Klippenrand stolpern lassen.
Rückwege sind ja immer kürzer als Hinwege, und nach knapp 45 Minuten waren wir dann auch wieder am Parkplatz angekommen. Ich mittlerweile mit der brastigsten Laune, die ich angesichts des strahlenden Tages und der gloriosen Landschaft heraufbeschwören konnte. Der Gatte schwang sich hinter den Volant, um die Mannschaft zurück zum Kraftfahrzeug Nummer 2 zu kutschieren. Ich blieb in der Picknickecke des Parkplatzes, um mich in meinem selbst gemachten Märtyrertum zu suhlen. Ganz ehrlich gesagt, war das ziemlich angenehm. Um die Picknicktische herum war ein gepflegter Grasteppich, auf dem ich mich in der Sonne ausstreckte. Und dann vertrieb ich mir die Zeit, in dem ich dem schokoladensamtigen Bariton meines Lieblingsschauspielers lauschte, wie er einen kitschigen Liebesroman aus dem 19. Jahrhundert mit köstlichem Akzentwechsel und reizenden Intonationsspielchen zum Leben erweckte. Meine Laune erholte sich schnell.
Ich habe an dem Tag den Giant's Causeway allerdings nicht mehr gesehen. Vielleicht hätte der GäGa mich nicht wieder abholen sollen, denn die Laune sank schlagartig wieder in den Keller, als mir klar wurde, dass er eine Stunde später alleine zurückgekommen war, um mich aufzusammeln, während die Gruppe im plüschigen Causeway Hotel saß und sich an Scones und Tee labte. Ich fand es, gelinde gesagt, ein wenig rücksichtslos, Zeit zu vertrödeln, während andere Leute den fahrbaren Untersatz heranführen. Aber so ist das mit der Unkompliziertheit meiner irischen Familie - wer freiwillig zurück geht, muss nicht damit rechnen, dafür auch noch gelobt zu werden. Undankbarkeit ist der P___s Lohn. Ob ich mich daran noch gewöhnen werde, weiß ich nicht, schließlich habe ich schon 15 Jahre davon hinter mir und ärgere mich nach wie vor über die Regelübertretungen, die bei den P___s als Sport betrieben werden. Man kommt halt nicht aus seiner deutschen Haut heraus.
Der Klippenweg war übrigens 4,8 Meilen lang. Das sind 7,7 Kilometer.