Sonntag, 28. April 2013

Nur in Irland

Schon erstaunlich, wie stark man vom Umfeld seiner Kindheit geprägt ist. Eine Kindheit und Jugend in Kleinstadt-Deutschland - das bedeutete Erziehung zur Ordentlichkeit, zur Rücksichtnahme auf die Nachbarn, zum verantwortungsvollen Umgang mit Vorschriften und zum Rundum-Funktionieren  innerhalb einer strikt geregelten Gesellschaft. In Irland stößt meine Sozialisation gelegentlich an ihre Grenzen. "Das gibt's auch nur in Irland" ist so ein Spruch, der mir auch nach 13 Jahren immer noch gelegentlich mal durch den Kopf geht. In den nächsten Wochen erscheint dementsprechend hier der ultimative Irland-Führer zu den marginalsten Schrullen der Nation. Dieser erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, darf laufend vervollständigt werden und ist ausschließlich als subjektiver Eindruck *einer* Deutschen in *ihrem* Irland zu verstehen. (Für weitere Beispiele aus dem Erfahrungshorizont meiner Leserschaft bin ich jederzeit dankbar! Stichworte bitte per Kommentar hinterlassen!)

Zum Beispiel die Allgegenwart des Nachtschattengewächses. Dazu präsentiere ich Beweisstück A, das ich bei einem kürzlichen Kurzurlaub in einer auch von Einheimischen gut besuchten Hotelbar, ablichtete.

Die Kartoffel des Tages. Man sieht sie geradezu vor sich: die Knollenfrucht, gehüllt in ihre bescheidene erdbraune Robe. Nicht die Schönheit des Pfirsichs, die Anmut der Rose, die kecke Schlankheit einer Banane, nein, Demut prägt die in der Dunkelheit des Erdreichs verschämt herangewachsene Kartoffel. Genügsam, züchtig und prunklos widmet sie sich nur einem - dem Wachstum. Brutal dem Erdboden entrissen wird sie der Ausbeutung durch die Menschheit ausgesetzt. Und wer dankt es ihr? Keiner. Dabei ist die Kartoffel die Krone der menschlichen Nahrungskette.

Jedenfalls in Irland. Die Iren lieben ihre Kartoffel. Und auch wenn ich bei dem Titel "Kartoffel des Tages" spontan an die zur Motivation von lustlosen Mitarbeitern in US-amerikanischen Hamburger-Brätereien ausgestellten Verbrechergalerien Angestelltenfotos denke, ist für den irischen Leser einer Speisekarte die Notwendigkeit eines täglich wechselnden Kartoffelgerichts unabdingbar. Kartoffeln gibt es gebraten, gebacken, gekocht, als Brei, in, mit und ohne Schale, zum Frühstück, Mittagessen und Dinner, frittiert und tiefkühlgetrocknet, als Chips, als Fries, als Wedges, als Schalen - ja, selbst zu einem bereits stark stärkehaltigen Nudelgericht passt noch eine Portion Beilagenkartoffeln. Die Kartoffel liegt den Iren im Blut. So stark sogar, dass möglicherweise die in Irland wesentlich häufiger vorkommende Glutenunverträglichkeit auf die ausschließliche Ernährung mit Kartoffeln im 19. Jahrhundert zurückzuführen ist.

Wo die Neuseeländer die Kiwifrucht als nationales Symbol haben und die Waliser sich mit einem Lauch schmücken, sollte auch Irland sich eine Frucht aufs Banner kleben. Ich plädiere für die Kartoffel, steht sie doch mit ihrem schlichten Gewand für die außerordentliche Bescheidenheit der Iren, mit ihren ökotrophologischen Besonderheiten für die irische Findigkeit und mit ihrer Verbreitung auf der ganzen Welt für die sprießende Diaspora Irlands. Tolle Knolle!

Freitag, 26. April 2013

Kriegsführung auf dem Gehsteig

Der irische Bürgersteig bei Regen. Das ist Überlebenstraining in Echtzeit und unter realistischen Bedingungen. Gerade meinen Lesern, die noch nie in Irland waren, aber eventuell eine Reise in dieses schöne Land planen, möchte ich damit einen praktischen Ratgeber an die Hand geben, der böse Überraschungen bereits im Vorfeld ausschließen soll. Denn an Regen kommt ihr in Irland nicht vorbei. Damit kann man sich - entsprechend mit Gummistiefeln, Sympatex-Regenkleidung und Knirps ausgerüstet - arrangieren. Doch was der Irland-Unkundige nicht im Voraus abschätzen kann, ist der Überlebenskampf, der einen auf irischen Gehwegen bei Regen erwartet.
Dank wirtschaftlichem Aufschwung und der universellen Erhältlichkeit von in indischen Ausbeutungsbetrieben gefertigten Billig-Schirmen besitzen die Iren heutzutage alle auch einen Regenschirm. Vorbei die Zeiten, als man in den 80er Jahren noch schirmlos dem Regen begegnen musste. Ach, was waren das für schöne, alte Zeiten. Denn heute spielt sich der Klassenkampf unbarmherzig auf den Bürgersteigen ab. Bevorzugte Waffe ist dabei der Regenschirm.

Die irische Mittelklasse stattet sich dazu mit den absichtlich harmlos benannten Golfschirmen aus. Dabei handelt es sich um Regenschirme, unter die mindestens zwei, aber bis zu 25 Fußgänger passen. In seiner Spannweite in der Regel einem Sonnenschirm gleich, stellen die Golfschirmträger dabei die Panzer des Niederschlagkriegs dar. Wer sich auf einem Gehweg mit einem Golfschirm konfrontiert sieht, kann einpacken. Gnadenlos drängen die Golfschirmträger das restliche Fußvolk vom Gehweg. In der freien Wildbahn gilt das Recht des Stärkeren - und das ist zweifellos der Golfschirmträger. Immerhin ist die Trefferquote des Golfschirms jedoch schlecht: Nur jedes zehnte Opfer wird beim Ausweichen auf die Fahrbahn gerade mal von einem zufällig vorbeifahrenden Bus erfasst.

Die Guerillas des Gehwegs sind die Knirpsträger der Arbeiterklasse. Und zwar jene, die sich unter dem Mantel der etwas gedankenlosen Exzentrik besonders scharf bewaffnet haben - mit einem kaputten Knirps. Diese zeichnen sich in der Regel dadurch aus, mit besonders scharfen Waffen den Kampf um die Idealroute im Großstadtdschungel aufzunehmen. Charakteristisch ist hier die Bewaffnung mit Billigknirpsen, die durch den Einsatz im Sturm ursprünglich unschädlich gemacht worden waren. Mit freigelegten Rippen und hervorstehenden Metallspitzen, wo das Schirmmaterial von den Schirmrippen abgerissen ist, pirschen sich die Guerillas von hinten an ihre Opfer heran. Ihre Taktik besteht zum einen in der außerordentlichen Wendigkeit dank einer geringeren Spannweite als die Golfschirmträger, zum anderen in der Traghöhe des Knirpses, die dank Anwinkelung leicht auf die Augenhöhe der Gegner angepasst werden kann. Das Tragen von Brillen ist angesichts der Knirpsguerilleria stark zu empfehlen. Ansonsten empfiehlt es sich, bereits vor dem Irlandurlaub einen Termin in der Augenklinik ihrer Wahl auszumachen.

Besonders perfide ist jedoch die Kooperation der Panzereinheiten und der Guerilla im gemeinsamen Zangengriff gegen die Oberklasse. Entgegen internationalen Abkommen betreiben die beiden Kampftruppen unbemannte Angriffe. Dazu hinterlassen Selbstmordkommandos bei Rückzügen oder im Fall von beschädigtem Kriegsgerät ihre Waffen in speziell bereit gestellten Tonnen, die überall in den Städten an strategisch wichtigen Punkten auf dem Gehweg platziert sind (in Friedenszeiten, also bei Sonnenschein, werden diese übrigens regelmäßig als Papierkörbe missbraucht) und von dort nichtsahnende Passanten angreifen, indem sie ihre gebrochenen Rippen in den Fußgängerstrom strecken und die Fußgänger in ihrem Fortkommen hindern  Darüber hinaus ist in den letzten Jahren auch der zunehmende Einsatz von Landminen zu verzeichnen. Dabei handelt es sich um entsorgte Knirpse, die - oft in der Nähe der Tonnen - den Gehweg zu einem gefährlichen Parcours machen. Wer hier nicht seine Sinne beisammen hat und die weggeworfenen Knirpse im Blick behält, kann leicht zu Fall gebracht werden!

Das einzig Gute in diesem Szenario: Der Gehwegklassenkampf dauert nie lange. Sobald die Sonne wieder herauskommt, werden die Kampfhandlungen eingestellt, und die Teilnehmer des Füßgängerverkehrs feiern Versöhnung. Als Besucher richtet man sich am besten auf alle Eventualitäten ein. Oder bleibt bei Regen lieber im Trockenen.

Mittwoch, 24. April 2013

Haben Iren zarte Schinken?

Betthupferl im Hotel D___ - wo kriegt man sowas sonst?
Ob Schwarzbrot auf Hawai oder Schogetten in Namibia - mittlerweile kann man ja alles überall kaufen. Die Globalisierung macht es möglich. Fast alles, was ich aus Deutschland kenne und zum Wohlfühlen brauche, gibt es auch in der Ferne zu kaufen. Eigentlich fast schon schade, denn irgendwie geht dabei auch die Einzigartigkeit mancher alltäglichen Gegenstände und Lebensmittel unter. Nur ganz wenige Artikel finde ich nach wie vor in irischen Supermärkten nicht - Katjes Katzenpfötchen oder Erdnussflips zum Beispiel. Angesichts der enthaltenen Kalorien bin ich aber so traurig dann auch wieder nicht, wenn ich diesen beiden Lastern hier nicht frönen kann... Das macht einen Besuch in der Heimat umso schöner, vor allem, wenn man so reizende Freundinnen hat wie ich, die mein heimliches Vergnügen kennen und mich mit entsprechenden Vorbereitungen überraschen. Danke, D___!

Nun fiel mir aber bei meinem letzten Großeinkauf eine weitere Lücke im irischen Supermarktsortiment auf. Es gibt hier kein recyceltes Klopapier im naturfreundlichen Grau! Und dabei befand ich mich bereits in einer Zweigstelle eines bekannten deutschen Discounters mit gelb-blauem Logo. Ungläubig stand ich vor den Palette mit Toilettenpapieren, bis mir klar wurde: "Floralys recycling ist nicht mehr!" Weißes Toilettenpapier in allen Variationen wohin das Auge auch blickte. Mit Blümchenaufdruck. Mit Aloe Vera. Mit eingeprägtem Muster. Nur kein gewöhnliches, gräuliches Recycling-Klopapier. Das hatte es bisher doch wenigstens hier, in der letzten Bastion deutscher WC-Kultur gegeben. Verzweiflung machte sich breit. Muss ich meinen Hintern auf seine alten Tage nun noch an ein neues Wischgefühl gewöhnen müssen??? Nun ist Floralys weiß ja laut Packungsaufdruck auch recycelt. Aber warum gebleicht? Haben irische Hintern Augen?
Das waren noch Zeiten: Zugeschnittenes Zeitungspapier fürs Klo

Ich habe bisher noch keinen Feldversuch gemacht, ob irische Schinken empfindlicher sind als deutsche und dementsprechend eines zarteren Toilettenpapiers bedürfen. (Eine Lücke in meiner landskundlichen Auseinandersetzung mit meinem Gastland? Vielleicht sollte ich das im Dienste der Wissenschaft dann doch einmal angehen. Freiwillige Testpersonen vorzugsweise männlichen Geschlechts bewerben sich bitte mit vollem Lebenslauf und einem entsprechenden Foto an meine E-Mail-Adresse...) Zähneknirschend musste ich zwangsläufig eine Packung Floralys gebleicht kaufen. Der Test läuft noch. Bisher hat mein Hintern noch keine Augen entwickelt. Das Wischerlebnis ist allerdings befriedigend. Die Ökobilanz dagegen lässt die Augen tränen.

Montag, 22. April 2013

Wir basteln uns ein Erebor

Sir Peter hätte eigentlich auch in Irland drehen können.


Wild. Zerklüftet. Herb. Dramatisch. Verlassene Hochmoore wie Mondlandschaften. Felsformationen mit schroffen Klippen. Dunkle Bergmassive. Kommt bekannt vor? Fehlt jetzt eigentlich nur noch eine Horde Zwerge, die über den Abhang direkt in den Schlund von Erebor kraxelt, auf der Suche nach der geheimen Tür in den Berg, in dem der grauenvolle Drache Smaug herrscht. Nun ja, Sir Peter (Jackson) hat lieber im heimischen Neuseeland gedreht. Das hat ja immerhin auch schneebedeckte Alpen zu bieten, mit denen Irland nicht aufwarten kann. Und doch fühlte ich mich bei meinem letzten Ausflug an die Westküste angesichts dieses Felspanoramas mitten in die Szenere des Hobbit versetzt. The Shire ist in Irland überall - grüne wellige Landschaft mit weitem Himmel. Mordor könnte man in den Hochlagen der Wicklow Mountains auch anlegen. 

Doch zugegebenermaßen gehören Ausblicke wie der obige in Irland heutzutage auch schon eher der Seltenheit an. Das Land wurde nicht zuletzt während der Boomzeiten stark zersiedelt. Kaum ein Aussichtspunkt mehr, von dem man nicht auf die Spuren menschlicher Zivilisation stößt. Den Mirkwood oder Fangorn Forest findet man in Irland sowieso nicht mehr - den Baumbestand, der die Insel vor Jahrhunderten einmal charakterisierte, haben schließlich die Engländer in den Jahrhunderten ihrer Herrschaft gründlich vernichtet und in ihre Navy zum Kampf gegen Armada und Co. umgesetzt. Aber ich appelliere an Sir Peter: Für ein paar Pick-ups würde es in Irland doch noch reichen!! Schließlich ist die Hälfte der Schauspieler-Crew doch von der Nachbarinsel. Man kann denen doch gar nicht zumuten, ständig nach Neuseeland fliegen zu müssen! Und Irland hat eine florierende Filmindustrie (naja) mit attraktiven Steuernachlässen und einem begabten Talent-Pool. Immerhin wurde ja die Kultserie Game of Thrones ebenfalls auf unserer kleinen Insel gedreht...

Castle Darkrock, Stammsitz der gleichnamigen Lords und Romankulisse
Nun ja, ich fürchte, aus meinen Wunschträumen - zugegebenermaßen äußerst durchsichtigerweise ausschließlich durch mein reeeeeein akademisches Interesse (yeah, right) an einem gewissen Schauspieler motiviert - wird wohl nichts werden. Und vielleicht eignet sich Irland ja dann doch besser für eine neue Pilcher-Verfilmung, statt eines heroischen Fantasy-Epos? Da fällt mir doch einiges ein. Wie wäre es mit einer süßlichen Schmonzette über das arme Mädchen aus der Bauernkate direkt neben den ehrfurchtsvollen Mauern des alteingessenen Adelsgeschlechtes derer von Darkrock? Eireen ist die herzensgute, bildschöne Tochter des verwitweten Wildhüters O'Murtagh. Ihre viel zu früh verstorbene Mutter Kathleen starb an ihrem gebrochenen Herzen - der alte Lord Darkrock war der Bauerntochter, die als Milchmädchen auf der Burg jobbte, innig zugetan gewesen. Doch die Klassenunterschiede hatten eine Verbindung der Liebenden nicht erlaubt. Dennoch hatte der weichherzige Lord die alte Flamme als Kinderfrau seines einzigen Sohns und Erben Viscount Crispin immer in der Nähe behalten. Gemeinsam mit Eireen wuchs der dunkelhaarige Adelsspross in der urwüchsigen Wildheit der irischen Atlantikküste auf. Nach langer Abwesenheit wieder auf die Burg seiner Väter zurückgekehrt, um das Erbe seines sterbenden Vaters anzutreten, begegnen sich Eireen und Crispin erneut. Hat die Liebe der Eltern in den Nachfahren eine neue Zukunft???

Besetzung: Richard Armitage als Crispin Darkrock, selbstverständlich. Story copyright: Sonja K___. Stehe für Anfragen aus Hollywood bezügl. der Rechte an dieser bahnbrechenden, die Dimensionen der Zeit überschreitenden Liebesgeschichte jederzeit zur Verfügung. Korrespondenz bitte an meinen Agenten.

Freitag, 19. April 2013

Der frühe Vogel schlägt die Schlange

Glencar Waterfall, Co. Sligo
Das ist nicht das Reptil. Sondern die Schlange zum Anstehen. Und auch einige andere unangenehme Begleiterscheinungen, mit denen man in Irland rechnen muss. Worunter beinlose Schlangen sowieso schon einmal nicht sind, denn die wurden ja bereits von St. Patrick des Landes verwiesen - gelobet sei der Herr. Aber die Schlangen anderer Art gibt es auch in Irland. Man kann ihnen nicht entkommen, nicht einmal am Hinterteil der Welt. Denn wo es so schön ist wie in Irland, gibt es Stau am Wasserfall, Wartezeiten vor dem Eingang zum Hünengrab und Wartezimmer vor der Seetangkur.

Es sei denn, man kommt im Urlaub schon frühzeitig aus dem (in Irland ja ansonsten nicht erhältlichen) Quark. 8 Uhr morgens: Der Wecker klingelt in Zimmer 129 des Pier Head Hotels. Aus dem Pyjama direkt in den Badedress. 8:05 Uhr: Hotelpool. 30 Minuten zügiges Kraulen im menschenleeren Becken. Duschen. Frühstück. Das Büfett gehört nur uns - selbst der Toaster ist noch nicht angeworfen worden. 9.30 Uhr: Die Frisur sitzt. Wir können los.

30 Kilometer Fahrt nach Knocknarea. 10 Uhr. Der Parkplatz ist leer; nur ein Campingbus parkt. Kurz nach uns hält ein weiterer PKW - zwei Wanderer mit Hund steigen aus und hetzen auf den Pfad. Wir gehen es gemütlich an, lassen uns beim Aufstieg Zeit und genießen die fantastische Aussicht auf das Umland. Der Wind bläst. Das Wetter hält.

10:40 Uhr: Geschafft. Eine Umrundung von Queen Maeve's Grave auf der Spitze von Knocknarea. Der Laden füllt sich. Eine Gruppe von drei Engländern. Ein englisches Rentnerehepaar geht bereits auf den Abstieg (die Campingbus-Inhaber? Der Wallebart des Mannes und die rustikalen Schuhe sowie die selbstgewebten Mützen legen diesen Schluss nahe.) Hundchen und Besitzer hetzen zu den Satellitengräbern. Wir genießen im Windschatten noch einmal den Ausblick auf die Sligo Bay und Ben Bulben im Norden, halten den befeuchteten Zeigefinger in den Wind und stellen fest: 11 Uhr - gleich gibt es Regen. Also Abstieg.

Richtig kalkuliert. Auf dem Weg nach unten kommen uns Horden entgegen. Familien mit Kleinkindern an der Hand (wie die den steilen Aufstieg ohne Tragehilfe bewältigen wollen, ist mir ein Rätsel, zudem der Wind auf dem Gipfel so stark bläst, dass man Kleinkinder wahrscheinlich nicht von der Hand lassen darf, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass sie einem davonfliegen.), spanische Austauschschüler. Französische Studententruppe. Wir grinsen uns einen - wer jetzt noch nach oben steigt, kann vom Gipfel nur noch Regenwolken beobachten.

Parkplatz 11:30 Uhr. Die Zigarette müssen wir schon im Kofferraum sitzend inhalieren. Das war's dann mit dem Schönwetter für heute. Und morgen wird es genauso sein, denn gestern war es auch nicht anders. So ist das nun einmal an einem Frühlingstag in Irland: Bis 11 Uhr isses schön, aber dann gibt's Schietwetter. Doch wir haben uns ab jetzt schließlich das süße Nichtstun verdient, denn *wir* haben ja bereits unser Wanderprogramm erledigt. Ab jetzt nur noch Juckelfahrt im Auto, Konsumierung im Café und als Höchstes der Gefühle einen Gang vom Parkplatz zum Hotel. Es lebe der frühe Wurm.

Mittwoch, 17. April 2013

Außenstelle West

Hat mich hier jemand vermisst? Bless me father for I have sinned - it has been nine days since my last posting. Neun Tage, von denen ich vier im Kurzurlaub verbracht habe. Aber nicht zu meinem Vergnügen. Selbstverständlich nicht. Ich musste mal wieder aus Dublin wegfahren, damit ich hier überhaupt Stoff für meine Westrandbemerkungen habe. Was ich nicht alles für meine Leserschaft tue... Gesponsert war der Kurzurlaub von der lieben Familie, die gleichzeitig die Versorgung der Nachkommenschaft übernahm, während der gälische Gatte (GäGa) und die Westrandbloggerin höchstselbst Stadtflucht begangen. Ganz neu war mir unser Urlaubsort nicht - vor einem knappen halben Jahr hatte ich bereits einmal vom irischen Westen berichtet. Doch damals ging es vorrangig um die Bespaßung erwähnter Nachkommen, so dass für das Vergnügen der begleitenden Elternschaft wenig Platz blieb. Ohne den lästigen Anhang fing dieses Mal allerdings der Urlaub schon in dem Moment an, als GäGa und ich den Allerwertesten auf die Velourbezüge des fahrbaren Untersatzes platzierten.
Dreieinhalb Stunden dauerte die Fahrt aus der Hauptstadt bis an unseren Zielort, das Örtchen Mullaghmore in der Grafschaft Sligo. Under bare Ben Bulben's head, wie jetzt die Yeats-Kenner unter den Lesern zitieren dürften. Dort, auf einer Halbinsel in der Donegal Bay bezogen wir Quartier im Pier Head Hotel. Vier Tage Ausspannen, ohne Gedanken an die nächste Raubtierfütterung Kinderverköstigung oder anstehende Arbeitsaufträge. Denn der Versuchung, den Laptop mit einzupacken, hatte ich mit Todesverachtung widerstanden. Stattdessen war marky Mark mit dabei und erwies sich als glänzender Unterhalter. Kaum waren die Pyjamas unter den Kopfkissen verschwunden, ging es gleich auf Erkundungstour um die Halbinsel herum. Denn der Irland-kundige Tourist weiß ja die Gelegenheit zu ergreifen, wo sie sich bietet: Das Wetter war trocken, die im Jahr 2013 bisher nur sparsam er- und geschienene Sonne gab sich die Ehre, und wir zogen mit marky Mark sofort los. Genau so muss man das in Irland auch machen, denn man weiß nie, wann der nächste Regenschauer kommt.
An diesem Abend nicht mehr. Die Inselumrundung legten wir trockenen Fußes zurück. Und am Hotel wieder angekommen, gab es flüssiges Abendbrot in Form eines gepflegten Guinness im Sonnenschein an der Kaimauer.
Ben Bulben und Arthur Guinnness - perfekte Kombi
Wenn der Tag zur Ruhe kommt. Guinness. Guinness. Vollmundig im Geschmack. 


Sonja Kroll, Außenstelle West.

Montag, 8. April 2013

Good Vibrations

Hallo und willkommen im April. So langsam gibt es hier good vibrations. Seit mehreren Tagen scheint die Sonne, gestern haben wir den Park mit einer Frisbee-Session eingeweiht und heute habe ich dem Wetter glatt mit dem ersten Jog des Jahres 2013 getrotzt. Sollten sich hier jetzt doch Frühlingsgefühle bemerkbar machen? Wird ja auch langsam Zeit! Hmph.

Irland im Spiegel der Cinematografie. Da fallen einem als erstes solche Horrorfilme wie "In einem fernen Land" - besetzt mit Tom Cruise, neuerdings ja übrigens als Ire voll vereinnahmt, nachdem ihm letzte Woche in Dublin vom Außenminister (!!! muss man sich mal vorstellen!!!) Eamon Gilmore eine Irischstämmigkeitsurkunde verliehen wurde, und Nicole Kidman (befähigt dank eines vollen Haupthaares roter Farbe) - oder "PS - I love you", die Verfilmung des Erstlingsromans der Premierministertochter Cecilia Ahern und auch wieder passend mit einem Nicht-Iren in der Hauptrolle des toten irischen Ehemanns (Gerard Butler - ein Schotte... naja, immerhin auch ein Kelte) besetzt, ein. Niedlich sind sie ja, die Iren. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen, feurig und ungestüm, dem Genuss eines alkoholischen Getränks nie abgeneigt, aber summasummarum doch eher befremdlich. Oder wie ein hier nicht näher genannter Bekannter von mir zu sagen pflegte "Die Iren sind wie Kinder". Hmph.

Dementsprechend hatte ich doch größte Hoffnung auf einen hausgemachten Film gesetzt, der die Entdeckung der nordirischen Punkszene in den späten siebziger Jahren zum Thema machte. "Good Vibrations" war nicht nur metaphorisch zu verstehen als ein Hoffnungsschimmer im "Trouble"-geplagten Nordirland, sondern war konkret der Name eines Plattenladens in Belfast. Besitzer Terri Hooley eröffnete diesen in den frühen Siebzigern auf der Victoria Street, die den zweifelhaften Rekord hält, die meistbebombte Straße der Welt zu sein... Irgendwie passend, dass dort dennoch die Wiege der nordirischen Punkmusik liegt, denn Hooley entdeckte verschiedene Punkbands, von denen The Undertones vermutlich die bekanntesten sind. Teenage kicks - unvergessen.


Von diversen Filmkritiken über alle Maßen aufgeputscht ("inspirierend und witzig", "herausragend", "absolut brilliant"), konnte das Ganze natürlich wieder mal nur eine Enttäuschung werden. Der Film entließ mich müde und nicht wirklich inspiriert. Dank des urbanen Themas gab es zwar keine Vorurteilsschafe und Landschaftsidylle im Film, aber die Story an sich blieb komplett unterentwickelt. Dieser Film wusste nicht so richtig, was er wirklich zeigen will. Die Figurenentwicklung der Hauptperson? Das Entstehen der Punkszene in Nordirland vor dem Hintergrund der Troubles? Der musikalische Siegeszug der Undertones? Die Zerrissenheit von Hooley zwischen Familienvater und Punkvater? Angerissen wurde vieles, aber nichts wirklich befriedigend zu Ende geführt. Nicht mal schöne Leute gab es als visuelles Bonbon, das über die inhaltlichen Enttäuschungen hinüberhelfen würde. Ich fand den Film weniger inspirierend als deprimierend - Hooleys Ehe geht zu Grunde, der Plattenladen macht dicht, die Punkszene brachte außer den Undertones nichts Erwähnenswertes hervor. Und der nordirische Bürgerkrieg fand im Punk auch keine Auflösung. Schade - vielleicht wäre es besser gewesen, die Punkentwicklung doch anhand einer fiktionialisierten Story darzustellen. Dann wäre ich vielleicht nicht noch vor Filmende eingeschlafen.

Good Vibrations? Lieber vermeiden.