Donnerstag, 28. April 2011

Eurovisions-Visionen

Mir geht der ganze Eurovisions-Bardenwettstreit ja heutzutage mehr als am A...llerwertesten vorbei. Eine Zeit lang hatte der alljährliche Schlagerwettbewerb ja noch so etwas wie Kultcharakter. Ich erinnere mich da gerne an Studentenfeten, bei denen die Gäste in 70er-Jahre-Verkleidung nur dann durch die Gesichtskontrolle kamen, wenn sie mindestens ein goldenes Medaillon auf Brusthaartoupet oder Poposcheitelfrisur über dem Spitzkragen vorweisen konnten. Und Deutschland war ja auch jahrelang Trendsetter in Sachen "alberne Eurovisionsbeiträge" - Guildo Horn, Stefan Raab etc. Aber Irland setzt dem Ganzen jetzt echt die Krone auf.

Eigentlich dachte ich ja, dass der Beitrag aus dem Jahr 2008 nicht mehr zu toppen war. Da hatte Irland nämlich einen singenden Truthahn ins Rennen geschickt. Jawoll, Dustin the Turkey. Auch der war mal eine Kultfigur gewesen. Dieser machte sein Fernsehdebüt bereits 1990 im Rahmen der Kindersendung The Den als Sidekick von den beiden Socken (ja, es wird hier immer besser, ich weiß) Zig und Zag, sollte eigentlich Weihnachten in den Ofen kommen, überlebte aber nicht nur Weihnachten 1990, sondern auch die beiden Socken und mehrere menschliche Co-Moderatoren.

Legendär, übrigens, sein Album "Faith of our Feathers" aus dem Jahr 1997, eine viel gespielte Kassette (!) im Hause K___-P___. (Interessanterweise fand das großartige Kunstwerk moderner Coverinterpretation seinen Weg zu uns über meine Schwiegermutter, die das Album ahnungslos mit dem gleichzeitigen Bestseller "Faith of our Fathers" verwechselt und gekauft hatte - einer Compilation klassischer irischer Kirchenlieder. Wirklich wahr. Das Leben ist manchmal der beste Witzelieferant!)



Der hier eingebundene Song "Born Greasy" ist übrigens Pflichtübungsmaterial für zukünftige Irland-Einwanderer, gibt er doch einen treffenden Einblick in irische Esskultur, noch dazu in Original-Northside-Dubliner Akzent. Wer davon nicht abgeschreckt ist, kriegt die amtliche Einwanderungserlaubnis!

Zurück zu Eurovision 2011. Dieses Jahr versucht Irland mit Jedward sein Glück. Noch nicht von Jedward gehört? Dann freu dich - das abgefahrene, oder besser gesagt: irre-idiotische Teenager-Zwillingspaar, einst in einer dieser unsäglichen Talentshows im irischen Fernsehen "entdeckt" worden, ist unerträglicher als ein Magengeschwür kurz vor Abgabeschluss einer fünfjährigen Doktorarbeit. Und dieses Jahr sollen sich ja deutsche Titelverteidigerin Lena Mecker-Wahnwut und Jedward beim Grand Prix ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Das sagt jedenfalls das iGoogle-Eurovisions-Tool Da wird auf Basis der jeweils ausländischen Suchanfragen nach den verschiedenen Interpreten ausgewertet, welche Punktzahl die Wettbewerbsteilnehmer erreichen würden.

Oh Irland, wie tief bist du gesunken? Mit Wehmut denke ich an die goldenen Zeit irischer Eurovisions-Dominanz zurück, mit dem niemals wieder erreichten Hattrick in den Jahren 1992 bis '94, als die Inselrepublik dreimal die Siegertrophäe abräumte. Unvergessen der zweimalige Triumph von Johnny Logan mit zwischenzeitlicher, siebenjähriger Sendepause!

Verdächtige Eurovisions-Detailkenntnis? Ich??? Nee. Mich interessiert das nicht die Bohne. Aber ich wollte das nur mal gesagt haben.

Freitag, 22. April 2011

Karfreitag in Dublin

Herrschaften, ich möchte nicht noch mal jemanden jammern hören, dass in Deutschland ständig alle Feiertage weggekürzt werden! Ihr habt es besser als ihr denkt - denn hier sind die Feiertage weit und selten gestreut. Erstaunlicherweise gilt das auch für einen der höchsten kirchlichen Feiertage überhaupt: Karfreitag. Der "gute Freitag" ist in Irland ein normaler Arbeitstag. Wie bitte, und das in einem Land, das zu rund 87 Prozent katholisch ist, und dessen Kirchenbesuchsstatistik eine der höchsten Zahlen der westlichen Welt aufweist (2006: 13 Prozent!)??? Wieder mal einer der kleinen irischen Widersprüche.

Auch wenn heute ein normaler Werktag war - der Karfreitag ist doch etwas Besonderes in Irland, ist er doch der einzige Tag im Jahr, an dem der Ire von Gesetzes wegen keinen Alkohol kaufen darf! Und somit sind die Pubs und Restaurants mit Alkohollizenz an diesem Tag geschlossen. Was bei Iren am Vorabend üblicherweise Panikkäufe in Spirtuosenläden und Supermärkten auslöst. Denn kaufen darf man ihn nicht, den Alk - aber trinken schon.

Und alljährlich staune ich im Supermarkt meines Vertrauens über die Verkaufshindernisse, die das Management sich einfallen lässt, damit der irische Käufer nicht doch eine Buddel Hochprozentiges in seinen Einkaufskorb schmuggelt. Da werden die Bier- und Weinregale mit Betttüchern verhängt, VIP-Kordeln zum Absperren vor die Regale platziert und die allgegenwärtigen Supermarkttürsteher zum Bewachen der Alkoholvorräte abgestellt. Die Barriere dieses Jahr war besonders ausgeklügelt - und ich habe sie für euch, unter Einsatz meines guten Rufs und meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit ("Wer macht denn bitte Fotos in Supermärkten???") auf Film Sensor gebrannt:

Karfreitag im irischen Supermarkt
Aus den Augen, aus dem Sinn, ist wohl das Motto hier. Der Gang zum Alkohol hermetisch verriegelt mit einer unüberwindbaren Barriere aus Schokoladenostereiern, Ostergrußkarten und undurchsichtiger Wand aus Plastikmüllsäcken.

Ich habe dann zu Hause erstmal ein Glas Rotwein verköstigt. Rein aus Trotz - ich trinke zu Hause äußerst selten Alkohol, und schon gar nicht ohne Gesellschaft. Aber bei staatlich aufoktroyierter Abstinenz regt sich mein Widerstand. Vielleicht hätte ich aber dem Staat auch anders ein Schnippchen schlagen und die Supermarktvorräte an Cognaceiern aufkaufen sollen. Der Weg zu diesen war nämlich nicht mit Plastikbarrieren verstellt.

Frohe Ostern, liebe Leser!

Mittwoch, 20. April 2011

Seniorenstudium

Wer es noch nicht mitbekommen hat: Ich befinde mich gerade mal wieder in den letzten Zügen. Nein, ich spreche nicht über die irische Bahngesellschaft (obwohl deren Züge gelegentlich auch das Letzte sind), sondern über die letzten Tage des gegenwärtigen Sommersemesters. Ja, ich bin auf meine alten Tage nochmal zurück an die Uni gegangen. Seniorenstudium, sozusagen.
So etwas wäre mir in Deutschland wahrscheinlich nicht eingefallen. Mit Ende 30 nochmal die Schulbank Hörsaalklappstuhlreihe drücken? Unnötiger Unsinn. Wenn Muddi was eigenes will, soll sie doch einen Jodelkurs belegen, das reicht. Vermutlich wäre es mir auch peinlich gewesen, mich auf meine alten Tage zwischen die blutjungen, frisch aus der Schule entlassenen Studienanfänger zu setzen. In Irland dagegen falle ich gar nicht weiter auf.
Sicher, das liegt ganz offensichtlich auch an meinem frisch-jugendlichen Teint. (Nun ja...) Oder doch vielmehr an der Tatsache, dass das Bildungswesen mir hier doch wesentlich offener erscheint als in der Heimat? Meinen Bachelor of Photographic Media - auf Deutsch: mein BA in Fotografie - ziehe ich im Teilzeitstudium durch. Drei Abende die Woche sitze ich in den ehrwürdigen Hallen Mobilbauten des Griffith College Dublin und lerne. Dabei bin ich nicht mal die Älteste. Aber mein Alter ist auch gar kein Thema für mich und meine Kommilitonen; wir alle genießen die Gemeinschaft des gemeinsamen Interesses an und der geteilten Leidenschaft für Fotografie.
Allerdings gebe ich zu, dass ich angesichts des Abgabestresses der letzten Tage um Jahrzehnte gealtert bin. Letzte Woche war mein gefühltes Alter noch 17. Gestern gegen 18 Uhr fühlte ich mich dann eher wie 71. (Nach Einreichen der Projekte um 18.30 Uhr pendelte sich mein Alter dann allerdings wieder auf realistischeren 41 ein.) Und trotzdem: Das isses mir wert. Schönen Dank an Irland, das mir ermöglicht, mich auch im hohen Alter noch weiterzubilden, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen.

Sonntag, 17. April 2011

I love Dublin!

Nun bin ich selber ja ein leidenschaftlicher Tourist, liebe Geschichte über alles (das hab ich ja auch vor hundert Jahren mal studiert) und kann mich stundenlang in Museen, Galerien und Ausstellungen aufhalten. Der schönste Anblick, den ich kenne, ist der entzückende Rücken einer Stadtführerin mit Knirps am ausgestreckten Arm! If you lead, I will follow - absolut und blind!

Gestern war ich nun die Knirpsträgerin. Ja, ich hatte tatsächlich einen dabei, aber in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Gruppe aus überschaubaren drei Teilnehmerinnen bestand, konnte ich den Knirps in der Tasche lassen. Die Gelegenheit zum Angeben Herumführen ergab sich, da meine Internetfreundin S___ zum ersten Mal in Dublin war. Ich hatte dazu eine Tour ausgearbeitet, die uns in knapp zwei Stunden an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten (der Südseite) vorbeiführen sollte.

View Dublin-Tour in a larger map

Während Frau Sonja eine handliche Kurzfassung aller baulichen und historischen Ereignisse Dublins seit Stadtgründung im 9. Jahrhundert parat hatte, waren die Besucherinnen mehr am Leben mit und zwischen den Iren interessiert. Aber nichts da, ein wenig historische Unterweisung musste sein, da kommt dann unweigerlich der Pädagoge in mir hervor.

Vielleicht war es auch viel mehr so, dass ich mir mal wieder meine Lieblingsstadt selber zeigen wollte?! Das brauche ich gelegentlich mal, ein kleiner Auffrischer, wie schön es in meiner Wahlheimat eigentlich ist, was ich an Dublin liebe und schätze. Warum ich hier nie wieder weg möchte, aus dieser Hauptstadt mit Dorfcharakter, bei der ich auf jedem Stadtausflug mindestens einen Bekannten im Gewühl der Großstadt treffe - beachtlich, bei knapp 500.000 Einwohnern, und ich "nur" Ausländer. Aber genau das ist es - die Menschen hier, die Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Iren, sind es, die mich in Irland halten. Die Iren sind ein liebenswertes Völkchen. Welch ein Glück, unter ihnen leben zu dürfen!

So, das musste mal gesagt werden.

Mittwoch, 13. April 2011

Zuvorkommende Freundlichkeit

Von der vorauseilenden Freundlichkeit der Iren kann man sich wirklich eine Scheibe abschneiden! Als muffliger Norddeutscher erschlug mich hier fast ein Kulturschock, als ich näher mit den Umgangsweisen der Iren vertraut gemacht wurde. Und auch heute noch überfällt mich gelegentlich ein leises BeWundern angesichts des zuvorkommenden Entgegenkommens, das die Iren an den Tag legen.

Mitten aus dem Leben gegriffen: Neulich war ich mit einem irischen Freund anlässlich eines Fotoshoots in Glendalough unterwegs. Es war wochentags morgens und das ansonsten von Touristen überlaufene Areal war relativ ruhig. Wir marschierten mit unserem Geraffel Fotoequipment zur "Location". Die wenigen Spaziergänger, die uns auf dem Weg begegneten, wurden von meinem Bekannten allesamt freundlichst und höflichst mit "Hello, how are you?" begrüßt. Sowas wäre mir ja eigentlich nicht eingefallen. Fremde? Womöglich Touristen, die man niiiiie wieder sieht? Grüßen? Das überschreitet ja schon meine norddeutsche Wohlfühlgrenze. Aber selbstverständlich passe ich mich den örtlichen Sitten an. Schließlich ist es ja etwas Angenehmes und Nettes, die Gegenwart anderer Menschen zu bestätigen, genau wie man die eigene Anwesenheit ja gerne quittiert sehen will. Kost' ja auch nix.

Höchstens Zeit. Denn auf dem Rückweg, nach abgeschlossenem Shoot, dann folgende symptomatische Situation. Wir hatten zusammengepackt, Kameras verstaut, Stative geschultert und machten einen kleinen Schlenker an den Upper Lake von Glendalough, bevor wir wieder abfahren wollten. Mittlerweile waren mehr Touristen unterwegs, und wir ließen uns kurz am Seeufer auf eine Zigarette nieder. (Also, wir setzten uns nicht auf die Zigarette drauf, sondern rauchten beim Sitzen eine solche...) Ein Pärchen schlenderte an uns vorbei zum Wasser, er mit einer Spiegelreflexkamera über dem Bauchnabel bamselnd, die wir - mit Profifotografenauge ;-) - sogleich fachmännisch abschätzten.

Upper Lake, Glendalough, Co. Wicklow
 Und dann schlug wieder die vorauseilende Freundlichkeit zu: Während sich der Freizeitfotograf am Strand aufbaute, um das wundervolle Talpanorama des Upper Lakes für das Urlaubsalbum zu verewigen (siehe oben), sprang mein Bekannter Gewehr bei Fuß Stativ im Anschlag auf, um selbiges ungefragt unserem touristischen Freund über den Schädel zu ziehen... Quatsch!... anzubieten: "Brauchen Sie ein Stativ? Hier, nehmen Sie doch meines!" Hätte er es mal getan, das Über-den-Schädel-Ziehen. Wenigstens wären wir da früher weggekommen!

Sicher, wir Fotografen, ob Hobbyist oder Dilettant Profi, müssen zusammenhalten. Aber gleich das Equipment verleihen? Und dann auch noch ungefragt? Ok, ich dachte schon wieder zu norddeutsch... Ich flüsterte S___ jedoch leise zu: "Oh Mann, du bist aber so irisch!!!" und erntete Erstaunen. "Ah sure, why not!" Meine Zurückhaltung in so einer Situation war dem irischen Freund offenbar höchst fremd, wenn nicht gar suspekt.

Was soll ich sagen - aufmerksam war die Geste ja schon, aber die "gute Tat des Tages" schlug dann um in den "Frust der Stunde". So lange brauchter unser Fotofreund - Teil einer französischen Reisegruppe - nämlich, um das Stativ aufzubauen, die richtige Höhe einzustellen, die Kamera in die Stativhalterung einschnappen zu lassen und dann sein Motiv einzustellen und auf den Auslöser zu drücken. .*dumdidum* *däumchendreh* *augenverdreh* DAS war dann selbst dem geduldigen, freundlichen Iren zu viel. Und erst recht, als das Stativ am Ende halb auseinandergeschraubt zurückkam.

Sö. Und warum erzähle ich das alles? Weil ich mir selber nicht im Klaren bin, ob jetzt das ungefragte freundliche Entgegenkommen wirklich so erstrebenswert, sondern ein Quentchen vornehme misstrauische Zurückhaltung eher angebracht ist. Jedenfalls wenn es um den Verleih wertvoller Ausrüstungsteile geht. Aber gut, ein freundliches "Hello!" ist nach wie vor kostenlos. DAS kann ich mir noch leisten.

Freitag, 8. April 2011

April, April, der macht, was er will

Mal schnell einen aktuellen Anlass aufgegriffen: Gegenwärtige Temperatur in Dublin-Innenstadt: 12°C. Im Schatten. Nach hinten raus. Andere Seite der Medaille des Hauses, derzeit angestrahlt im schönsten Frühlingssonnenschein: 20°C. Temperatur im Inneren des Hauses: gefühlte 14°C. So etwas passiert mir übrigens sehr oft: Ich verbringe den Vormittag mit meiner Arbeit am PC und sitze mit dem Rücken zum Fenster an meinem Schreibtisch. Dank langjähriger Erfahrung und Körpertemperaturanpassung kann ich bei 14°C gut arbeiten. Gelegentlich wären Fingerhandschuhe zwar mal ganz angebracht, damit lässt es sich nur so schlecht tippen. Aber ein bequemes Fleece erhöht den Wohlfühlfaktor doch erheblich, genau wie eine Tasse heißen Tee in strategisch abgestimmten 30-Minuten-Intervallen. Doch wenn ich mittags dann vor die Haustür trete, um den Nachwuchs von der Schule abzuholen, stelle ich meistens mit Erstaunen fest, dass es draußen wärmer ist als drinnen!!

Dabei kann von "Wärme" in Irland ja nicht die Rede sein. Weswegen die Iren vermutlich auch so extrem auf jeden noch so kleinen Sonnenstrahl reagieren. Kaum zeigt sich die Sonne einmal, werden Socken abgelegt, Jacken ausgezogen und die Spaghetti-Trägerchen in Szene gesetzt. Ich friere dann meistens schon vom Hinsehen - trotz der inhäusigen Abhärtung. Aber die Iren sind da anders konditioniert. Schon als Baby und Kleinkind grundsätzlich ohne Mütze und Socken, später in Schuluniform immer in Kniestrümpfen unterm Rock, kann man als Irin auch bei 5°C im Dezember ohne Mantel und ärmellos im Mini-Outfit durch die Grafton Street bummeln. Innere Hitze, nehme ich an.

Ich glaube, da muss ich noch ein bisschen warten, bis mich die Hitzewallungen des Klimakteriums zum Ablegen essentieller Kleidungsstücke im irischen Klima verleiten! Vermutlich ist das alles aber nur reine "Kopfsache" - mein irisch-deutscher Nachwuchs, beide in Irland aufgewachsen, haben die vorsichtige Vermummungstendenz ihrer Mutter nicht geerbt. Auch gut - wenigstens ein Kleidungsstück weniger, das abgetragen wird!

Dienstag, 5. April 2011

Waltraud auf dem Küchentisch

Meine Krawallphase scheint wohl noch nicht vorüber zu sein, und da man mich von verschiedenen Seiten bereits bat, doch weiterhin in meinen Blogs kontrovers zu toben, nehme ich den potentiellen Leserverlust billigend in Kauf und wende mich heute einmal dem Thema "Sauberkeit und Ordnung" zu. Wie sage ich es nun diplomatisch? Irische Hygienestandards sind etwas "relaxter" als die deutschen. Diese Tatsache habe ich mit Begeisterung wahrgenommen, als ich mich mit Irland vertraut gemacht habe. Während man in deutschen Küchen in der Regel vom Fußboden essen kann, sollte man das in Irland tunlichst vermeiden. Auch was hier so als "aufgeräumt" gilt, wäre in Deutschland wohl eher ein Fall für die "Messie-Therapie". 

Für bekennende Schlampen wie mich natürlich ein Glücksfall. Da komme ich mit meiner Schwierigkeit, selbst auf meinem Schreibtisch nur einen Nachmittag lang Ordnung zu halten, immer noch sehr gut weg. Denn hier ist es so: Der Ire lebt nicht, um zu arbeiten sauber zu machen, sondern er macht höchstens sauber, um zu leben. Also nur dann, wenn es dringend nötig oder keine saubere Teetasse für den Nachmittagstee mehr verfügbar ist. Man kann sich sehr leicht an diesen wunderbaren flexiblen Umgang mit Hygiene und Sauberkeit anpassen. Es ist doch auch so praktisch, den Rest kalten Tee mit dem Teebeutel in die Spüle zu gießen - und erstmal liegen zu lassen. Oder die Krümelparade unter dem Küchentisch zu ignorieren, bis endlich wieder Besuch mit Hund kommt. Erstaunlich, wie schnell die Toleranzgrenze bei zunächst angeborener niedriger, deutscher Dreckschwelle sich an örtliche Sitten anpassen lässt!

Nur eine Kleinigkeit kann ich bis heute nicht leiden: Salami und Schinken aus der Plastikpackung im Kühlschrank. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder versucht, diesbezüglich in hiesige Umgangs- und Präsentationsformen aktueller Aufschnittkunst vorzupreschen. Ohne Erfolg. Dabei bin ich mit einem Tupperfuhrpark aus 40 Jahren deutscher Hausfrauengeschichte gesegnet - die pastellgelbe, eckige Aufschnittdose (wenn sie einen Namen hätte, dann wäre sie wahrscheinlich "Waltraud"), vermutlich selbes Baujahr wie ich, tut nach wie vor verlässlich und hygienisch ihren Dienst. Wenn man sie ließe. Aufschnitt gehört aus Hygienegründen nach dem Salamikauf aus der Verpackung entfernt und in einen keimfreien, wieder verschließbaren, sowie formschönen Behälter transferiert. Das hält das Fleisch frisch und macht sich ansehnlicher auf dem Abendbrottisch. Doch dank beharrlicher Resistenz des un-deutschen Gatten bleibt unser Küchentisch frei von Tupperdosen - er zieht es vor, wenn Aufschnitt in der Verpackung gelagert wird. Schmeckt dem Iren einfach besser, wenn der Schinken austrocknet und sich die Salamiränder so putzig wellen.

Nun ja, "win some, lose some", wie man hier so sagt. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich krieg zwar meinen Aufschnitt nicht aus der Tüte, dafür erwartet aber auch niemand eine antiseptisch gepflegte Küche von mir. - Außer meinen zahlreichen deutschen Freunden in Irland und Besuchern. *ähem* Ich gehe dann jetzt mal die Küche feudeln - für morgen haben sich meine Eltern angesagt. Da muss der Hygienestandard vorübergehend ein wenig angehoben werden...

Freitag, 1. April 2011

Auf Krawall gebürstet!?

Nun reden wir heute doch mal, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das liebe ich nämlich sehr - habe ich mir aber in elfeinhalb Jahren Liebesexil doch tendenziell abgewöhnt. Manchmal - selten - bricht sie dann aus mir hervor, diese unbändige Lust zu provozieren oder mal Klartext zu sprechen. Und - interessanterweise! - kommen deutliche Aussagen im Kontext eines Blogs sehr gut an, wie ich gerade in meinem englischsprachigen Fotoblog 2picsaweek feststellen durfte (schaut doch mal rein - da sind immerhin einige fotografische Eindrücke von Irland abzugreifen!).

Zur Sachlage: PMS hatte mich am vergangenen Montag schwer im Griff. Mir war natürlich mal wieder gar nicht klar, warum ich so auf Krawall gebürstet war, aber es brach einfach nur so aus mir heraus: Ich wollte wohl einfach mal kontrovers sein. Das brauche ich. So ca. alle vier Wochen *ggg*. Also haute ich auf 2picsaweek einen Beitrag raus, in dem ich mich deutlichst gegen oberflächlich scheue Fotophobie aussprach. Das ist sonst so gar nicht meine Art - ich bin ja eher so der harmoniebedürftige, diplomatische "Wir-haben-uns-alle-ganz-doll-lieb"-Typ.

Und was soll ich sagen: Dieser Beitrag erregte mehr Rückmeldung als jeder andere meiner selbstverständlich durchgehend rhetorisch glänzenden und fotografisch hochkompetenten Postings. (...) Die Schlussfolgerung: Meine Leser wünschen sich offenbar deutlichere Worte. Das könn'se haben. (Gestern gleich noch mal einen drauf gesetzt - mit noch durchschlagenderem Erfolg. Ich erwarte die Beleidigungsklagen sowie meine ersten Facebook-Rausschmisse in Kürze.)

Erstaunlich! Während ich mich hier, in meinem deutschsprachigen Blog ja sowieso in meiner Muttersprache anders ausdrücken und (aus)toben kann, folgte ich in meinem Fotoblog angesichts der Fremdsprache bisher den Umgangskonventionen meiner irischen Umwelt. Die da wäre: Nur nicht deutlich werden, niemanden vor den Kopf stoßen, klare Ansagen lieber unterlassen. Direktheit, wie wir Nord- bzw. Zentraleuropäer sie kennen und mögen, ist hier keine Tugend. Ehrliche Meinungsäußerung und mit deutlichen Worten eine klare Position zu beziehen, vor allem, wenn diese etwas umstritten ist, schätzt der Durchschnittsire weniger. Das heißt nicht, dass man keine kontroversen Meinungsverschiedenheiten hätte oder nicht diskutiert. Deutliche Ansagen sind aber weitaus seltener. Und eine ehrliche Meinungsäußerung wird gerne auch mal als Brüskheit missverstanden. - Wie gut, dass man als Ausländer ja dann doch seine Narrenfreiheit hat. Eckt Sonja einmal an, ist sowieso klar: "Ah, she's German!"

So, und wen darf ich dann hier im Blog mal vor den Kopf stoßen? Themenwünsche immer willkommen! Und in spätestens vier Wochen mache ich hier dann auch Krawall.