Freitag, 29. Juni 2012

Die Kehrseite des Ex-Pat-Daseins

Sprach ich neulich noch davon, wie cool es ist, Ex-Pat zu sein? Sich unter die ansonsten fürs Fußvolk geschlossene Gesellschaft mischen können, beim Empfang ein paar leckere Häppchen abgreifen und schön Konversation machen. Nun ja. Dabei gibt es eine Kehrseite der Medaille, die wiederum nicht so besonders unterhaltsam ist. Und die zeigt sich im regelmäßigen Turnus immer wieder im Sommer. Gestern war es wieder so weit.
Eigentlich war ich mit dem Auto unterwegs, um im Baumarkt ein paar Bilderhaken zu kaufen. Dazu kurvte ich in einem südlichen Vorort Dublins herum - und fand mich plötzlich in der Straße einer befreundeten deutsch-österreichischen Familie. Für eine Zehntelsekunde empfand ich den Impuls "Ach, da halt ich mal eben an und guck bei V___ rein!" Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag: Nix da anhalten! V___ und Familie sind an just diesem Wochenende aus Dublin weggezogen. Auftrag in Dublin nach sechs Jahren erfüllt, nun bringt der Arbeitsplatz von Mr. V___ einen Wohnungsortwechsel mit sich. Die Familie mitsamt zwei Kindern ziehen nach Südostasien. Sicher ein tolles Abenteuer.
Und für uns wieder einmal ein typisches Ex-Pat-Erlebnis: Wir müssen liebgewonnene Freunde verabschieden. Der Kreis der Freunde ist hier immer in Bewegung. Kommen und Gehen. Das ist interessant, aber auch immer wieder enttäuschend. Und so sehr man verspricht und hofft, dass man angesichts moderner Kommunikationsmethoden auch lange Distanzen überwinden wird, so ist es doch unsicher, ob man die Freundschaft fortsetzen kann.
Mir schnürte es im Auto glatt die Kehle zu. Wieder eine nette Freundin weg. Wieder bleibt man selber hier sitzen. Wieder muss mein Kind eine neue Freundschaft schließen, weil ein Kind die Klasse verlässt. Immer wieder der kleine Tod, wie die Franzosen es ja angeblich nennen. Und es ist tatsächlich so - ein bisschen 'was stirbt jedes Mal. Das Vertrauen auf eine lebenslange Freundschaft. Und die Fähigkeit, neuen Freundschaften offen zu begegnen. Denn wenn Freundschaften vonvornherein immer nur auf Zeit bestehen, dann fehlt irgendwann die Kraft, mehr als nur oberflächliche Zivilität in eine Beziehung zu investieren.
*schluchz* Mein Scott, wie tragisch, wie dramatisch, wie egozentrisch. Ich werde es wohl überleben. Aber schön ist es dennoch nicht für die "Zurückgebliebenen"...
Alles Gute in der neuen Heimat, V___, R___, V___ und S___!!! Wir werden euch vermissen.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Im falschen Film

Inmitten des historischen Zentrums von Dublin zu wohnen, hat so seine Vorteile. Abgesehen davon, dass alle Sehenswürdigkeiten innerhalb einer halben Stunde Fußweg zu erreichen (aber natürlich bereits ausgiebig abgeklappert worden) sind und auch die einschlägigen Geschäftszentren in unmittelbarer Nähe liegen, ist hier (vor allem im Sommer) immer ordentlich 'was zu sehen.

Beliebt ist im Hause K__-P___ unter anderem das so genannte "Touristen-Bingo": Du zeigst mir eine Touri-Gruppe und ich sage dir, woher sie kommen. (Top-Hinweis bei deutschen Reisegruppen: beige Popeline-Anoraks. Bunte Brillen. Und sogar immer noch: Socken in Sandalen.) Um das zu spielen, brauche wir noch nicht einmal unser Haus zu verlassen - vom Wohnzimmer aus haben wir fantastischen Ausblick auf den Touristenpfad am Platz.

Und nicht nur das, auch sonst geht hier einiges ab. Die letzten zwei Tage war es mal wieder besonders aufregend, denn vor unserer Haustür wurde ein Film gedreht. Nach Information der IMDB handelt es sich dabei um die fiktionalisierte Biographie von Jimi Hendrix. Wat hat der denn nu mit Dublin zu tun??? Nix! Aber aus irgendeinem Grund wird Dublin immer wieder gerne als Schauplatz englischer Kostümdramen herangezogen. Und in diesem Fall sollte unser Platz als London der späten 60er Jahre dienen.

Wie auch immer - es war schwer was los. Berittene Polizei auf dem Bürgersteig, 60s Miniröcke im Anmarsch, Wahnsinnsaufwand an Film-Crew. Sonja hing mit der Kamera im Anschlag - 300mm Zoom dran - aus dem Fenster und paparazzi-te mal wieder eine Runde rum. Allerdings ist die Filmerei nicht wirklich spannend. Das weiß ich sogar noch aus meiner eigenen Erfahrung als Statist bei der irischen Lindenstraße. Jede Szene wird 500-mal gedreht, bis sie im Kasten ist, die Statisten und das helferische Fußvolk stehen nur rum, und am Ende landet die Sequenz in der Mülltonne.

Ich wurde gestern abend fast wahnsinnig hier. Das Team drehte in unserem Park eine Szene, bei der eine Blaskapelle spielte. Und was soll ich sagen - die haben das tatsächlich live spielen lassen und gedreht. Gefühlt 250-mal, immer wieder dasselbe Lied. Mist, warum hab ich davon keinen iPhone-Mitschnitt gemacht? Immerhin hab ich noch den genialen Reflektor festgehalten - bildlich - der benutzt wurde. Weia, damit kann man vermutlich mit dem Licht einer einzigen funzligen Kerze den Kölner Dom tageslichthell bestrahlen...

So interessant es auch war - im Grunde ist es immer am schönsten, wenn abends der Platz leer wird und alle weg sind. Die Touristen schlafend in ihrem Hotel und die Filmleute koksend in ihrem Nightclub. Oder was auch immer die so treiben. Ich schließe dann das Fenster, lege die Füße hoch und genieße, dass der Platz am Abend (fast) nur mir gehört...

Freitag, 22. Juni 2012

Ex-Pat-Klüngel

Eigentlich habe ich mich nie als Ex-Pat gesehen: Ich bin nicht vorübergehend von meinem inländischen Arbeitgeber ins Ausland abgesandt worden, und lebe schon gar nicht in einem osteuropäischen, afrikanischen oder asiatischen Land. Dort treibt sich diese Spezies, laut Wikipedia, vor allem herum. Manchmal gibt es aber auch in Dublin das Ex-Pat-Feeling. Und ich muss eingestehen, dass es manchmal auch sehr interessant sein kann, zu den Ex-Patrioten, äh, Ex-Patriaten zu gehören.


Verbunden durch die gemeinsame Heimat, Sprache und Kultur begegnen sich die Ex-Pats im Ausland auf gleicher Ebene, auch wenn sie nach Bildung, Beruf und Gesellschaftsschicht getrennt sind. Oft ist es die Tatsache, dass man Kinder in derselben (Auslands-)Schule hat, die die gesellschaftlichen Grenzen überspringt und Kontakte herstellt, wo sie sonst eher selten sind. Und so hatte ich gestern abend mal wieder das Vergnügen, mich in erlauchten Kreisen zu bewegen.

Das meine ich jetzt nicht mal ironisch. War ein interessanter Anlass - Buchvorstellung im Goethe-Institut Dublin, verbunden mit der Verabschiedung des bisherigen Institutsdirektors. Und schön ist bei diesen Anlässen einfach, dass man sich relativ leicht kennenlernt. Das ist - wir wissen es ja als Deutsche - nicht ganz selbstverständlich. Small Talk zum Kennenlernen, unverbindliches Geplauder, um mal die Zeit miteinander zu zerstreuen, fällt uns in der Regel ja nicht so leicht. Doch hier gibt es immer einen Gesprächsanlass. Sollten Sie sich einmal selber in der Situation finden, im Kreise distinguierter Ex-Pats Konversation machen zu müssen, greifen Sie zu auf meinen amtlich bestätigten


Fragenkatalog des Ex-Pats:
  1. Wie lange sind Sie schon hier?
  2. Warum sind Sie hier?
  3. Wo kommen Sie her?
  4. Wie lange bleiben Sie hier?
  5. Gehen Ihre Kinder auf die deutsche Schule?
  6. Können wir uns auch duzen?
  7. Das Wetter ist ja ganz scheußlich/wunderbar/langweilig/unerträglich.
  8. Autofahren können die ___ überhaupt nicht.
  9. Deutsche Wurst bekommen Sie am besten bei ___
  10. Am meisten vermisse ich ___
Die Antworten sind nicht wirklich wichtig - das lässt sich im Gespräch dann leicht feststellen, ob man sich durch strategisches Zustimmen mit dem Gesprächspartner alliieren will, oder ob taktisches Widersprechen interessanter ist. In jedem Fall ist davon abzuraten, auf  Konfrontationskurs zu gehen - denn Ex-Pat-Kreise sind klein. Und jeder kennt hier jeden...

Freitag, 15. Juni 2012

Fan-Meisterschaft

Mein Blog ist derzeit Meisterschafts-lastig. Kaum sprachen wir neulich über die Deko-Meisterschaften, geht es heute um Fans. Und die besten Fans der aktuellen Fußball-Europameisterschaft sind die Iren. Das kann man nach der Performance am gestrigen Abend wohl ohne jegliche Abstriche behaupten.
Wer das Fußballspiel Irland-Spanien gestern abend mitverfolgt hat, weiß, wovon ich spreche: Es sah nicht gut aus für die Iren. Alles andere als gut. In der 80. Minute lagen die Iren mit 0:4 gegen die übermächtigen amtierenden Weltmeister und Spanier zurück. Oh, wie sehr ich ihnen gewünscht habe, dieses Mal über die Vorrunde hinaus zu kommen. Denn ganz so schlecht sind sie ja eigentlich gar nicht, die Iren. Sie haben das Unglück, keine eigene erstklassige Liga zu haben - wie auch, dazu ist das Land mit viereinhalb Millionen Einwohnern und mal gerade fünf Städten, die es verdienen, die Vorsilbe "Groß-" zu tragen, zu klein. Somit spielen die irischen Top-Fußballer alle in der englischen Premier League. Wobei diese ja nun eigentlich auch nicht gerade Herrenfußball der unteren Kreisklasse betreiben. Und dennoch hatten sie den Spaniern nichts entgegenzusetzen. Da half auch nicht, dass ich das eigens gekaufte Fußball-Shirt angelegt hatte, um die Boys in Green meiner mentalen und symbolischen Anhängerschaft zu versichern.
Es war mit zehn Minuten bis Spielende so klar wie der erste Treffer von Torres, dass die Mitwirkung der Iren an dieser EM vorbei ist. Und dann begann der Fan-Gesang. "Low lie the fields of Athenry..." tönte es aus den Rängen in Danzig. Unaufhörlich, obwohl kein Anfeuern der Welt den Iren noch den Sieg gebrachte hätte - die Fans standen hinter ihrer Mannschaft, und gaben ihr Bestes. Minutenlang ging das Lied weiter, die spanischen Fans waren akustisch nicht mehr vorhanden, und selbst als der Schlusspfiff ertönt war, sangen die Iren weiter. Gänsehaut. Der Auftritt der Mannschaft war nicht weiter erwähnenswert, aber die irischen Fans haben sich gestern abend in Weltklasseform gezeigt.
Wie ein Freund von mir auf Facebook sagte: Sollten die Iren jemals eine internationale Meisterschaft im eigenen Land durchführen, könnte ihre Mannschaft von der Welle der Begeisterung ihrer Fans glatt ins Finale getragen werden. Sowas gibt es nur selten - Weltmeisterschaft der Fans: Irland Nummer 1!

Samstag, 9. Juni 2012

Deko-Meisterschaft

Es ist wieder so weit. Die Fußball-Europameisterschaft 2012 ist da. Wir sind selbstverständlich voll dafür vorbereitet. Trikots liegen frisch gewaschen vor. Die Trikoloren sind ausgepackt. Das deutsche Bier im Kühlschrank kaltgestellt. In einer schockierenden Zurschaustellung völliger Abwesenheit hausfräulich-design-interessierter Stilsicherheit hat die Hausherrin den EM-Spielplan unübersehbar an den Fokuspunkt im heimischen Wohnzimmer an die Wand geklebt. Prioritäten, meine Damen!



Das ist doch das Mindeste, was man machen kann. Jedenfalls in Irland. Das EM-Fieber ist dieses Jahr wieder voll ausgebrochen. Denn die Iren sind ja auch mal wieder dabei, was nicht bei jeder Meisterschaft vorkommt. An der letzten Weltmeisterschaft waren die Iren knapp vorbeigerutscht, nachdem die Franzosen sie in der Qualifikationsrunde kontrovers aus dem Wettbewerb geschossen hatten. Welch Enttäuschung, die Iren hatten fantastisch gespielt und hätten die Teilnahme verdient. Zudem sich die Franzosen später im Cup als Gurkentruppe erwies. Wie auch immer, dieses Mal ist Irland dabei, und das wird deutlich dokumentiert. Zu Gelegenheiten wie diesen stark nationalistischen sportlichen Großereignissen ziehen die Iren alle Register. Es wird dekoriert, was das Zeug hält. Eckläden nennen sich zeitweise um.



Trapa-Tutti - Eckladen in der Dubliner Innenstadt, umbenannt in Anlehnung an den irischen Nationaltrainer Giovanni Trappatoni. Nix da "Flasche leere", das ist noch nicht alles. Ganze Sozialwohnungskomplexe hüllen sich in kommunales grün-weiß-orange. Es flattert und leuchtet an jeder Ecke, die Autos tragen Trikolore und die Iren green wie ihre boys im selbigen.




Glücklicherweise sind Deutschland und Irland nicht in der selben Gruppe. Denn dann könnte es angesichts der Loyalitäten im Hause K-P zu unschönen Szenen kommen. Schließlich haben wir hier drei Inhaber eines deutschen Reisepasses, zwei Träger der irischen Staatsbürgerschaft, zwei in Deutschland geborene Fußballfans und eine geborene Irin. (Das allerdings aufgeteilt auf einen Vier-Personen-Haushalt!) man sieht, es könnte haarig werden. Und vor allem die Hausherrin ist nach einem mittlerweile berühmt-berüchtigten Gefühlsausbruch nach Deutschlands unrühmlichen Ausscheiden aus der WM 2006 (*schluchz*) unter Androhung von Ausschluss aus den gemeinschaftlichen privaten Übertragungsstätten kaltgestellt worden. Immerhin habe ich zum Zeichen meines guten Willens ein irisches Fußball-Fanshirt gekauft, das ich morgen anlegen werde.
Heute heißt es jedoch Schland oh Schlaaand. Macht mir keine Schande, Jungs, ich möchte nicht wieder unangenehm auffallen!

Mittwoch, 6. Juni 2012

Sturm im Kaffeebecher

Nationalstolz haben sie ja, die Iren. Und vor allem, wenn sie in einen Topf geworfen werden mit ihren nächsten Nachbarn, den Briten. Dann gibt es aber einen Sturm im Wasserglas. Oder vielmehr im Kaffeebecher, so wie gestern. Anlass im weitesten Sinne war das 60-jährige Thronjubiläum der britischen Königin. Nicht, dass das in Irland besonders zur Kenntnis genommen wird. Nein, das ist man sich nach jahrhundertelangem Freiheitskampf schuldig, die Nationalitätsbekundungen des Nachbarstaates ausdrücklich zu ignorieren. Und das trotz des extrem erfolgreichen ersten Besuches der Monarchin in ihrer Ex-Kolonie im vergangenen Jahr.

Nun begab es sich aber gestern, dass eine weltweit agierende Kaffeehauskette mit vage maritimen Logo, einen peinlichen Faux-pas landete: Ausgerechnet im irischen Twitter-Stream des Koffein-Dealers erschien eine Sonderangebotsmeldung zum Thronjubiläum mit der Aufforderung dem Unternehmen zu zeigen "was einen stolz macht, ein Brite zu sein". Autsch! Der Sturm im Kaffeebecher nahm Orkanausmaße an - immerhin ist man schließlich ein souveräner Staat. Und das seit 1949! Das Unternehmen brauchte tatsächlich mehrere Stunden, um mit werberischer Diplomatie auf den Missgriff zu reagieren, und postete immerhin am Spätnachmittag eine offizielle Entschuldigung über den Twitter-Äther.

Nicht, dass es auch noch wichtigere Sachen in Irland gäbe: die Ergebnisse des Volksentscheids von vergangener Woche zum Thema Finanzvereinbarungen; die sukzessive Weigerung Deutschlands, die Finanzverbindlichkeiten von Irland nach Volksentscheid im deutschen Sinne nun zu erleichtern; die andauernde Massenemigration... Aber die souveräne Abgrenzung zum allübermächtigen Nachbarstaat ist eben wichtig. Gut, angesichts jahrhundertelanger Unterdrückung ja auch irgendwie zu verstehen...

Da bleibt nur eines: Man distanziere sich von Großbritannien und trinke seinen Kaffee in Zukunft nur noch bei einer irischen Kaffeehauskette. Die haben sowieso die passenderen Kaffeebecher. Guten Abend.