Samstag, 26. Februar 2011

Zahltag

So, heute ist der Zahl... äh... Zähltag. Gestern waren die Parlamentswahlen in der Inselrepublik. Heute wird ausgezählt. Da man hier ein extrem demokratisches Wahlsystem hat - es heißt Single Transferrable Vote - dauert die Auszählung mehr als einen Tag. Gesicherte Ergebnisse liegen erst am Sonntag vor, obwohl heute den ganzen Tag ausgezählt werden wird. (Beim single transferrable voting hat der Wähler zwar nur eine Stimme, er gibt aber auf dem Wahlzettel diese Stimme in Reihenfolge der von ihm präferierten Kandidaten an. Das heißt, man macht kein Kreuzchen, sondern schreibt eine Zahl hinter die Namen der Kandidaten. So bekommt beispielsweise Kandidat A eine 1, dann G eine 2, B eine 3, X eine 4. Zunächst werden dann alle 1er ausgezählt. Die Wahlzettel für diejenigen Kandidaten, die mit diesen "Erststimmen" nicht auf die erforderliche Zahl für einen Sitz gekommen sind, werden dann erneut ausgezählt, und zwar für die "Zweitstimme" usw. Somit kann man in Irland mit einer Wahlstimme gleich mehrere Kandidaten ins Amt hieven. Übrigens muss man das aber nicht machen. Man kann auch einfach nur eine 1 reinschreiben und es dabei belassen. Dieses System funktioniert übrigens nur in einer kleinen Demokratie, wie Irland sie ist. Für Deutschland wäre das wohl unpraktikabel - man müsste bei der Größe des Landes und der Zahl der Bundestagssitze dann wohl wochenlang auszählen...)

Nun habe ich leider keine Stimme in meiner Wahlheimat. Da stehen nämlich lasche € 950,00 davor. Diese müsste ich zahlen, um mich einbürgern zu lassen. Eine Frechheit angesichts der  Tatsache, dass ich nicht nur auf irischem Boden ein (halb-)irisches Kind herausgepresst geboren habe, mit einem Eingeborenen verheiratet bin und seit mehr als elf Jahren hier lebe . Und selbstverständlich genauso lange bereits meine Steuern hier bezahle.

Natürlich interessiere ich mich dennoch für die Politik meines Gastlandes. Mehr sogar als viele meiner irischen Freunde. Während eine Hälfte meines Freundeskreises aktiv in der Politik engagiert ist, zeigt sich die andere Hälfte restlos enttäuscht, frustriert und ratlos angesichts der politischen Entwicklung in Irland. Dabei ist es nirgendwo so einfach, Politikern während des Wahlkampfes auf den Zahn zu fühlen wie in Irland. Denn hier ist es üblich auf Wahlkampftour den Bürger direkt an der Haustür zu belästigen abzufangen. Im Vorfeld der Wahl sind die Wahlkampfteams wochenlang in den Wohngebieten von Tür zu Tür unterwegs. Die Kandidaten stellen sich persönlich den Wählern vor und bitten explizit um die Stimmen der Bürger. Auch die ganz hohen Parteitiere sind sich dazu nicht zu schade, wie eine Besucherin von mir bei der letzten Parlamentswahl selber erleben durfte.

K___ war zum Abendessen bei einer Bekannten auf der Nordseite Dublins eingeladen. Man hatte sich gerade dem Nachtisch zugewandt, als es an der Tür läutete. Der Hausherr öffnete und kam kurz darauf wieder, um K___ zur Tür zu bitten. Auf der Schwelle stand der damalige irische Premierminister Bertie Ahern, in dessen Wahlkreis sich K___ befand und der als bekannter Populist seine bürgernahe Nummer abzog. Nach ein paar Erinnerungsfotos mit dem ersten Mann Irlands versprach dieser dann K___, er werde am folgenden Wochenende bei einem anstehenden Deutschlandbesuch gerne auch Angela von ihr grüßen... Kein urbanes Märchen, sondern wirklich so passiert.

Zurück zur Parlamentswahl 2011. Die Auszählung läuft, und wir sind gespannt. Ein längst fälliger Wechsel steht ins Haus und nach ersten Ausblicken wird die mitte-rechts angesiedelte Noch-Regierungspartei Fianna Fail (auf Deutsch: "Die Soldaten des Schicksals") erdrutschartige Verluste einstecken müssen. Ihre politisch kaum anders orientiere Oppositionspartei Fine Gael ("Der Stamm der Gälen") dagegen legt zu, gemeinsam mit Labour. Auch der politische Arm der IRA, die Sinn Fein-Partei ("Wir allein") wird profitieren. Spannend wird werden, wie viele Unabhängige und Linkskandidaten ins Parlament einziehen dürfen.

Zeit zur Veränderung ist es auf jeden Fall.

PS: Die deutsche Nachrichtenanalyse ist jedenfalls schon mal extrem scharf. Lasst euch nicht von den englischen Untertiteln ablenken! Es ist alles gesagt!

8 Kommentare:

  1. Tja, das ist das Schicksal der Auslandsdeutschen. Steuern dürfen wir zahlen, Kinder kriegen auch (ich vier), aber wählen dürfen wir nicht, zumindest nicht das Parlament. Bei den Kommunalwahlen mische ich aber kräftig mit, denn in einem 600-Seelen-Dorf hat man ja einigermaßen den Überblick. Im letzten November war es abgesehen vom Bürgermeisteramt, zu dem fünf KandidatInnen angetreten waren, nicht sehr spannend. Die sieben Gemeinderäte standen vorher schon fest, denn es hatte sich nur die Mindestanzahl an Kandidaten zur Verfügung gestellt. Da schaute man zum Schluss nur drauf, wer wie viele Stimmen bekommen hat.
    Gibt es mit dem Single Transferrable Vote keine "Vetternwirtschaft"?

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  2. Vetternwirtschaft - das ist DAS Stichwort in Irland, Ortrud. Das Land wurde bisher ausschließlich über nepotistische Seilschaften regiert. Hier werden Parlamentssitze von Väter an Kinder vererbt! Da macht das STV schon keinen Unterschied mehr.

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  3. "die mitte-rechts angesiedelte Noch-Regierungspartei Fianna Fail" - Fianna Fail ist eine "Republican Party"
    "Ihre politisch kaum anders orientiere Oppositionspartei Fine Gael" während Fine Gael ganz klar progressive Mitte ist (Christdemokraten). Da liegen Unterschiede!

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  4. Danke für deinen Kommentar, Anonym. Kommt allerdings auf den Blickwinkel an. Für mich ist zwischen Mitte-Rechts und christdemokratisch kein großer Unterschied zu sehen. Geht Hand in Hand.
    Ich glaub, ich sollte mal irgendwo eine Notiz hier anbringen, dass dieses Blog rein persönlicher Natur ist und keinen Korrektheitsanspruch hat. Nicht, dass es noch Ärger gibt :-)

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  5. Anonym die zweite (will sagen, ich bin wer anders):

    Problem ist doch, dass FF und FG ja vielleicht von der übergeordneten Philosphie her unterschiedliche Ziele haben mögen, sich das aber in der Tagespolitik zwangsläufig gar nicht niederschlagen kann, weil diese Ziele mit Tagespolitik herzlich wenig zu tun haben. Und realpolitisch betrachtet sind nun mal beide konservativ und haben mit linken Zielen wenig bis gar nichts am Hut.

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  6. Hi Anonym 2: öh, wieso "mit linken Zielen"? Nö, die sind ja schließlich Mitte-rechts angesiedelt.

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  7. Noch mal lesen, junge Frau, du hast da irgendwo ein Negativum uebersehen. ;-)

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  8. Ich schnall es nicht, Anonym - bitte kläre mich auf, wo ich Fine Gael zu einer Linkspartei gemacht habe, damit ich das ändern kann!

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