Sonntag, 5. Juni 2011

Nur so hingesagt

Nun habe ich insgesamt 27 Jahre Irlanderfahrung auf dem Buckel. Die letzten elfeinhalb davon im Lande lebend. Und dennoch macht mich eine Sache immer noch unsicher im Umgang mit den Iren - was ist "nur gesagt, doch nicht gemeint"? Und das bezieht sich auf die verschiedensten Themen. Drei Beispiele.

Neulich nahm ich an einer Gruppenausstellung meines Fotografiesemesters teil. Der Eröffnungsabend war ein voller Erfolg, neben Freunden und Familie der Ausstellenden waren auch einige Gesichter aus der irischen Fotografieszene gekommen. Und die Rückmeldung war positiv. Aus zweiter Hand hörte ich, dass verschiedene Ausstellungsbesucher den hohen fotografischen und künstlerischen Standard der ausgestellten Werke gelobt hatten und uns als "vielversprechend" einschätzten. Das bestätigten auch zwei Dozenten, die ich neulich bei einer anderen Ausstellung traf. Natürlich freute mich das, und ich berichtete stolz dem irischen Gatten davon. "Ach, das würde ich nicht so ernst nehmen", sagte dieser. "Das sagt man eben im Gespräch so." *boom* The bubble burst!

Am selben Abend wanderte ich einsam und allein nach dem abschließenden Clubbing nachts um zwei Uhr nach Hause. Eine schlechte Uhrzeit, zu der ich gewöhnlich - und nach nur mäßigem Getränkegenuss in der Regel philosophisch gestimmt - dunklen Gedanken nachhänge. Das muss sich auf meinen ansonsten jung-dynamischen Gang ausgewirkt haben, jedenfalls sprach mich plötzlich ein Mann an, warum "eine Frau wie ich" denn um diese Zeit alleine vom Pub nach Hause gehe? Von meinem gälischen Gatten bereits entsprechend misstrauisch eingenordet, war klar, dass die implizierte Anmache eher das Gegenteil der erwünschten Wirkung bei mir zeitigte. "Verarschen kann ich mich alleine!" Ähem, allerdings könnte es natürlich auch sein, dass er eher meinte, Seniorinnen sollten nach 21 Uhr brav im Bettjäckchen unter der Heizdecke liegen, egal wie rüstig sie aussehen?

Beim Einkaufen traf ich gestern abend einen Bekannten, mit dem ich bei mehreren Fotoshootings zusammengearbeitet hatte. Er wohnt wie ich am selben Platz und sprach davon, später noch im Park zu grillen. Ich könne gerne vorbeischauen. "Oh, gute Idee. Ich werde mal sehen, ob ich nachher mal rüber komme." Die Versuchung war da - aber der Zweifel sitzt mittlerweile tief. Und natürlich bin ich nicht mehr rübergegangen.

Ehrlich, ich finde es schwierig, mit dieser Freundlichkeit und Komplimentations-Affinität der Iren zurecht zu kommen. Als Deutsche gehöre ich eher zu der Kategorie "Was ich sage, meine ich auch". Unehrliche Komplimente zu machen, nur um eine Konversation in Gang zu halten, ist nicht mein Ding. Wozu auch - das kann im Ernstfall dazu führen, dass man Leute am Hals hat, die man lieber auf Abstand hält. Da lobe ich mir die wenigen Direktheitsagenten unter meinen irischen Freunden. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.

4 Kommentare:

  1. Das Problem findest Du in der deutschen Dienstleistungsbranche aber auch. Ich ertappe mich dabei, Kunden "einen schönen Tag" zu wünschen, denen ich lieber die Pest an den Hals wünschen würde. Meist ist das sogenannte Laufkundschaft, unfreundlich bis eingebildet, hochnäsig bis feindselig (warum auch immer).

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  2. Kenn ich, diesen Ansatz. Gerade am Freitag erlebt, als ich bei einer Ausstellungseröffnung an der Bar Freiwilligendienst geleistet habe: Man ist ja der letzte Dreck in der Dienstleistungsbranche. Echt, ich hätte am liebsten ein Schild auf meine Stirn geklebt "Ich bin kein Sklave!" Und eigentlich völlig untypisch für Irland...

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  3. Hallo Sonja, Wahnsinn, wie tief doch diese deutsche Geradlinigkeit in einem verwurzelt ist - auch nach mehreren Jahrzehnten in und um Irland und Iren geht es Dir noch so! Mir ja auch. Stimmt natürlich, dass man von seinen deutschen Freunden gewohnt ist, dass sie auch meinen, was sie sagen, etc. Man muss da wohl manchmal etwas lockerer werden, auch wenn man es nicht einsieht, denn unsere lieben Iren werden sich sicher nicht mal eben ändern...

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  4. Normalerweise liebe ich ja auch meine Narrenfreiheit als "Ausländerin" - kann machen, was ich will, muss mich nicht an Sitten anpassen. Aber bei diesem "nur Dahingesagten" und bei der "Verbindlichkeitsresistenz" der Iren fühl ich mich immer grunddeutsch...

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