Donnerstag, 7. März 2013

Mundwerk hat goldenen Boden

Ich erwähnte es ja schon mal in den Anfangstagen dieses Blogs - die Iren haben eine wunderbare Begabung zum Reden. The gift of the gab. Das ist das Geschenk des Mundwerks. Sozusagen. Oder auch die Gabe der Klugschnackerei, wie mir gestern abend bewusst wurde.

Der Anlass war eine Einladung zu einer Diskussionsrunde im Rahmen eines Marktforschungsprojekts. Ich war keineswegs dienstlich da - obwohl ich für meine Teilnahme bezahlt wurde - sondern als Befragungsperson. Worum es dabei ging, ist eigentlich nebensächlich. Aber ich war wieder einmal schwer beeindruckt von der zwanglosen Plaudergabe der irischen Teilnehmer. Als ausländisches Kontingent war ich dort in absoluter Unterzahl - acht Iren repräsentierten ihr Volk.
Man hatte uns - ein wenig klaustrophobisch - in einen fensterlosen Kellerraum eines Dubliner Hotels gesperrt gebeten, in dem wir zunächst auf unsere Diskussionsleiterin warten mussten. Die neben mir sitzende Irin, vermutlich etwa zehn Jahre jünger als ich, klein, rundlich, blond und mit großen blauen Kulleraugen, wandte sich an die Gruppe. Ob jemand der Anwesenden so eine Befragungsrunde schon einmal mitgemacht hatte und ob man denn hier viel reden müsste? Ganz die Coolheit selbst, nahm ich es mit meinem Erfahrungsschatz mit Marktforschungsunternehmen auf mich, das Mädla zu beruhigen "Die können dich ja schließlich nicht zwingen. Du redest einfach, wenn du was zu sagen hast. Wenn nicht, kannste auch schweigen", sagte ich gönnerhaft und herablassend. Und freute mich wie ein Schnitzel, dass ich schon mal nicht als schweigende Eminenz im Hintergrund sitzen würde - sondern meine Sitznachbarin. *hüstel* Weit gefehlt. Miss Baby-Blues in ihrem rosa Rüschentop entpuppte sich als Vielrednerin mit noch mehr Meinung als Atem. Allerdings befand sie sich in guter Gesellschaft - der Rest der Anwesenden nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund.

Irische Marktforschungsunternehmen operieren in einem wahren Paradies. Gib in diesem Land Joe oder Jane Bloggs die Gelegenheit zu reden, und die schnacken auf olympischen Niveau. Vox pop ist hier quasi ein Unterrichtsfach in der Schule. Wo man sich in anderen Ländern gerne mal dezent mit der Artikulation seiner Meinung zurückhält, wird in Irland lautstark opiniert. In solchen Situationen wünscht man sich manchmal, über ein Hörgerät zu verfügen. Ich meine, norddeutsche Wortfaulheit kommt zwar eher unfreundlich rüber, aber mittlerweile finde ich es ja schon erfrischend, wenn sich Gesprächspartner zunächst einmal Gedanken machen, bevor sie zu labern anfangen. Bizarr wurde es gestern abend, als die Diskussionsleiterin den Raum verließ und sich das Gespräch vom Pro und Contra staatlich verordneter Impfungen urplötzlich auf schlechte Musik der 1990er verlegte. Auf Englisch sagt man dazu "I didn't see that one coming" - keine Ahnung, wo das nun herkam. Ein Raum voll Robbie-Williams-höriger End-Dreißiger. Und ich. Passenderweise hatte sich im Gespräch ohnehin schon mein gesamtes Academic English verabschiedet - die Soundkarte im Hirn war irgendwie abgestürzt, und ich konnte plötzlich nur noch Pidgin Englisch sprechen. Wie es mir oft geht, wenn ich von Menschen umgeben bin, die fließend Englisch sprechen. Quasi den Iren. Wogegen ich in Gegenwart von grauenvoll radebrechenden Ausländern in der Regel zu voller sprachlicher Größe auflaufe und mit rhetorisch-stilistischen Feuerwerken brilliere. *hüstel* Womit wir aber wieder mal bei der wunderbaren Narrenfreiheit und universell anwendbaren Ausrede des Ausländers sind. Sorry, mein Mundwerk hat keinen goldenen Boden. Aber dafür gibt es ja auch Blogs, in denen man schreiben kann...


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