Donnerstag, 28. Februar 2013

Ach wär ich doch in Düsseldorf geblieben

Manchmal, ja manchmal, da ergreift einen doch die Verzweiflung angesichts von Problemen, an die man noch nicht einmal im Traum denken würde. Es hat doch wirklich etwas von "Jammern auf hohem Niveau" oder "In Deutschland wäre das nicht passiert", worüber ich heute wieder gestolpert bin. Stolpersteine lauern auf den Auslandsdeutschen überall. Man merkt ja erst, wenn man nicht mehr im Din-genormten Deutschland lebt, wie wohl durchdacht die germanische Heimat doch ist. So sehr ich auch schon über Industriestandards bei Eingangstüren und Neigungswinkeln von Bananen gelacht habe - erst wenn man mal versucht hat, mit einem Kinderwagen in einem engen Eckladen Einlass zu begehren oder eine Banane in einer Plastikdose zu verstauen, lernt man Durchschnittsmaße zu schätzen.

Um Südfrüchte und Achsbreite ging es dabei heute nicht. Sondern um Schlitzgrößen. Und das kam so: Schon seit Jahren schiebe ich meine Steuererklärung der Jahre 2009 bis 2011 vor mir her. Ja, in diesem Zusammenhang bin ich leider selber nicht deutsch genormt - ich hatte dies immer wieder verdrängt, bis das Finanzamt mich schlussendlich bedrängte. Noch zehn Tage, dann gibt's Ärger, hielt man mir die Pistole schließlich auf die Brust. Und so erklärte ich heute wohl oder übel meine Steuer, schlug mich mit Bergen von unkorrekt abgelegten Dokumenten in loser Blatt-Sammlung herum und füllte unter Heranziehung aller möglichen Hilfsmittel (Oxford English Dictionary, Google-Suche, Finanzamt-Formblatt-Anmerkungen 11a) bis z)) meine Einkommenssteuerformulare aus. Bis um 17 Uhr sollte das im Kasten sein. Im Briefkasten.

Dieser befindet sich praktischerweise direkt gegenüber von meinem Haus. Und da dieses sich wiederum in einer historischen Gegend Dublins befindet, verschönern hier ausschließlich historische Briefkästen die georgianische  Atmosphäre. Die alten Briefkästen sind in der Tat charmant anzusehen. Kleeblatt-grün stehen sie an den Straßenkreuzungen, ihre Säulenform kaum zu übersehen. Dabei war der irische Staat bei seiner Machtübernahme von ihren britischen Kolonialherren in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts großzügig genug, die ehemals von Royal Mail aufgestellten roten Briefsäulen zu übernehmen und lediglich grün anzustreichen. Man findet derer noch einige hier in der Innenstadt - das Alter der antiken und so genannten "Pillar Boxes" (Säulenkästen) ist daran abzulesen, welche Herrschaftsabkürzung auf den gusseisernen Briefkästen eingeprägt sind. "ER" für Edward VII, "VR" für Queen Victoria, "GR" für King George. Eine kurze Genealogie des englischen Königshauses auf dem Trottoir, so zu sagen.

Als eingefleischter Geschichts-Freak bin ich angesichts dieser Überreste der Alltagsgeschichte natürlich höchst begeistert. Aber heute hätte ich diese bescheuerte reizende Briefkastensäule in ihrer beknackten ungewöhnlichen Raketenform am liebsten mit ein bisschen Sprengstoff befeuert und direkt auf den Mond geschossen. Als ich nämlich endlich und entnervt mit meinem Steuerkram und den Nerven am Ende war, erwies sich der zusammengestellte Papierkram als ein Formular-Kompendium von Telefonbuchdicke. Ok, ich übertreibe. Es ergab ein dünnes Telefonbuch. So eher für eine deutsche Kleinstadt von 18.000 Einwohnern. In Ermangelung eines passenden Briefumschlages in Din C4 , deponierte ich die wertvollen Dokumente in einem hartkartonierten Umschlag, in dem ich zuletzt Drucksachen zugesandt bekommen hatte. Porto war nicht erforderlich - wenigstens dieses schenkt einem der irische Staat, wenn man sich schon sonst bis auf die Unterhose in der Steuererklärung entblößen muss. Und so sprang Sonja erleichtert-freudig die Treppe hinunter, um endlich die Steuersachen und damit den Stein vom Herzen loszuwerden.

Duh! Zu früh gefreut! Ich hatte nämlich nicht die Rechnung mit An Post gemacht. Vermutlich gab es vor 100 Jahren noch keine Steuererklärungen. Oder keine Din C4 Umschläge. Und keine flachen Drucksachenumschläge. Jedenfalls war der Briefkastenschlitz für meinen Umschlag zu klein. Und der Umschlag zum Knicken zu dick. So etwas nennt man dann Rohrkrepierer. Ich kann euch gar nicht sagen, wie frustrierend ich in genau diesem Moment mein Leben als Auslandsdeutsche in Irland empfunden habe. Es war im Grunde so ähnlich wie die fünf Sekunden nach der Erkenntnis, dass man gleich mit seinem Ford Fiesta einen unausweichlichen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Lastwagen haben wird. Mein ganzes Auslandsleben zog an meinem geistigen Auge vorbei: die auf den Außenwänden von Häusern verlegten Toilettenabflussrohre. Die tröpfelnden irischen Duschen. Die fehlenden Fußgängerampeln an Straßenkreuzungen. Die Stecker mit drei Stiften. Briefkastenschlitze, die für C4-Umschläge zu klein sind. Stöööööhn. Oh Gott, bitte schenk mir Geduld. Und den Iren ein bisschen Hirn.

Ach wär ich doch in Düsseldorf Deutschland geblieben! Da halten die Autofahrer für Fußgänger an, die die Straße überqueren. Da kann man sich weitgehend auf Fahrpläne verlassen. Da ist jeder Dorfbriefkasten für Din C3-Umschläge genormt! Das schwere Los des Ex-Pats! Eigentlich sollte mir der irische Staat eine ständige Amnestie wegen unüberwindbarer kultureller Differenzen mit dem Gastgeberland einräumen. Dann hätte ich heute auch keinen Briefkasten gebraucht.

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