Freitag, 29. März 2013

Hoppenstedter Parade

Normalerweise ist Sonja in Sachen Musik entschieden hochgestochen. Mit 12 Jahren ununterbrochenem Konzerthallen-Abo in der (Abend-)Tasche (wir breiten hier jetzt einmal den Mantel des Schweigens über die Tatsache, dass das Abo seit letztem September ruht...) zählt man sich zu den kultivierten Klassikliebhabern, die herablassend den Dirigenten bei Betreten des Dirigierpultes begrüßen und verachtungsvoll die Augen gen Himmel rollen, wenn die barbarischen Konzerthallen-Anfänger in ihrem naiven Enthusiasmus zwischen den einzelnen Sätzen einer Sinfonie klatschen. Sooooooo peinlich!!!! Das *macht* man doch nicht!!!! *Weiß* man doch!!!! Freiwillig hätte ich mich dementsprechend wohl auch nicht zu einem Konzertabend begeben, bei dem Filmmusik gespielt wurde. Also bitte, das ist doch entschieden U und nicht E!!! Doch einem geschenkten Gaul schaut man ja nicht ins Maul, und so war ich gestern abend dabei, als in der National Concert Hall die sinfonische Filmmusik von John Williams auf dem Programm stand. Mir ging es primär eigentlich um die Gelegenheit, meine Freundin R___ zu sehen, die eingeladen hatte. Zudem es sich bei dem aufführenden Orchester auch nicht um mein Stammensemble handelte, sondern das Rundfunkorchester des irischen staatlichen Senders RTE.

Wir hatten die besten Plätze - und zwar die billigsten, wo man auf unbenummerten Sitzen direkt über dem Orchester sitzt und einen fantastischen Blick auf den Dirigenten hat. Oh, was haben wir von dort schon für herrliche Tanzeinlagen geboten bekommen. Ob Dirigenten in ihrer Ausbildung auch das Modul Interpretationstanz belegen müssen? Eventuell sollte man sich auch überlegen, ob Konzertgängern als Voraussetzung für ihre Anwesenheit ein Zertifikat in modernem Tanz vorgeschrieben werden sollte. Sonst könnte es zu ähnlich unschönen Szenen kommen, wie gestern abend, als der Marsch aus "1941" gespielt wurde.



Als Deutscher liegt mir Marschmusik selbstverständlich im Blut. Wenn der Rhythmus so richtig fetzig wird, dann zuckt mir die Beinmuskulatur unwillkürlich im Stechschritt unter der Sitzreihe. Da möchte man seine Reitstiefel anziehen und eine Runde im Parademarsch durch die Konzerthalle exerzieren. Zackig und erfrischend. Aber wir sind ja schließlich in den heiligen Hallen der Kunst, da kann man sich nicht mit solchen Szenen exponieren. Wir lehnen uns lieber gepflegt zurück und verbergen die zuckenden Fußspitzen unter dem Sitz der Vorderreihe.

Dort jedoch war der Rhythmus offenbar zu viel für einen Anwesenden. Der gute Mann war mir bereits vorher unangenehm aufgefallen, als er *nach* Beginn des Konzerts zu spät erst ankam und die kultivierte Ruhe der Kunstliebhaber störte. Naja, was will man schon von Spät-Ökos erwarten, die in Kapuzenpulli und langen Bartzotteln sowie einem sich lichtenden Haupthaar, das wohl 1974 zum letzten Mal eine Schere gesehen hatte, ins Konzert gehen... Überraschenderweise kam Mr Hippie allerdings bei der martialischen Marschmusik so richtig in Fahrt. Erst wippte er ja nur sachte mit dem Fuß, doch dann kippte der Schalter - als es beim Marsch richtig in die Vollen ging, konnte sich Hippie nicht mehr halten. Unter "Sitztanz" kann man das schon gar nicht mehr einordnen - das war schon eine echte Hoppenstedter Parade. Doll - und das bei einem Hippie, dem ich ja nun doch etwas mehr Pazifismus zu Gute gehalten hätte.





Eine Frechheit, das Ganze, denn meine Freundin und ich gerieten darüber so ins Kichern, dass Gefahr bestand, unter Tränenschleier den Musikgenuss zu verpassen. Das Auge hört ja schließlich mit. Unter allerlei Zuckungen konnten wir uns schließlich wieder beruhigen. Fazit: Solches Riff-Raff sollte von ernsthafen Konzerten ausgeschlossen werden. Oder Arroganskis wie ich sollten nicht mehr in Konzerte mit E-Musik gehen.

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