Montag, 13. Mai 2013

Irlandliebe

Die Tourismussaison hat wieder angefangen. Auf dem Weg zum Einkaufen bin ich gestern mal wieder in zehn verschiedene Urlaubsfotos spaziert. Das ist das Los der Anwohner am Touristenpfad. Interessant, wie man auch aus 50m Entfernung sofort feststellen kann, aus welchem Land die Touristen stammen. Beige Popelinejacken, unter den Arm geklemmte "Detlevs" (Herrenhandtaschen), Socken in Sandalen: Deutsche. Sonnenbrillen, dunkle Haare, schicke Aufmachung: Spanier. Baseballkappen, grüne Blousons und Slacks zu Turnschuhen: Eine Busladung Amerikaner.

Vor allem letztere Gruppe fährt besonders gerne nach Irland. Gehört es zum amerikanischen Initiationsritus, einmal im Leben nach Irland gefahren zu sein? Ich scherze ja immer, dass die Amerikaner in Irland alle auf der Suche nach ihren Wurzeln sind. Angesichts der Tatsache, dass knapp 12 Prozent der US-Amerikaner bei einer aktuellen Volkszählung angaben, irische Vorfahren zu haben, dürfte das nicht wundern. So betrachtet gibt es allein in den USA sechsmal so viele Iren wie im Stammland (36 Millionen : 6 Millionen Iren in Irland)! (Interessant: Nur die Gruppe der US-Amerikaner mit deutschen Vorfahren ist größer als die der Irish-Americans!!)

So sehr man auch manchmal über die Faszination "der Amerikaner" (ich verallgemeinere!) mit Europa schmunzelt, eigentlich ist es erfrischend, dass unsere kleine Insel von den Amerikanern so positiv wahrgenommen wird. Wo innerhalb Europas derzeit Irland eher als ein Schimpfwort zu verstehen ist - schließlich hat Irland mit dem Kollaps der Anglo-Irish Bank im Jahr 2008 maßgeblich den Anstoß zur Rezession gegeben - ist für die meisten Amerikaner Irland positiv belegt. Ich erlebe das oft auf verschiedenen sozialen Plattformen, auf denen ich mich herumtreibe. Erwähnt man nur nebenbei, dass man in Irland lebt, gibt es sofort freundliche und oftmals gar neidische Rückmeldung.


Neulich stellte ich einmal ein Sonnenaufgangsfoto in eine Facebook-Gruppe. Das Echo war überwältigend. "Ich wollte schon immer einmal nach Irland." "Ich liiiiiebe Irland." "Letztes Jahr war ich auch in Dublin. Wunderschön." "Wenn ich genügend Geld gespart habe, fahre ich auch nach Irland!" Der Tenor ist immer derselbe: Was für ein Glück, dass du in Irland leben darfst.

Glaubt mir, liebe Kommentatoren - ich bin mir meines Glücks bewusst. Selbst wenn es hier schon um 9 Uhr morgens hagelt, die Iren in zweiter Reihe parken und es kein Recycling-Klopapier gibt: Irland ist wunderschön, und als hereingeschneiter Ex-Pat freue ich mich jeden Tag über das Privileg, hier leben zu dürfen. Aber ihr dürft mir ruhig immer wieder sagen, wie sehr ihr mich beneidet, dass ich hier wohne, denn Neid kann auch schön sein: Der Neid und die positive Rückmeldung der anderen ist quasi die Bestätigung der eigenen Lebensentscheidung. Und den Amerikanern gebe ich das Kompliment zurück: Man kann über euch sagen, was man will, aber euer Irland-Enthusiasmus ist erfrischend. Bei mir seid ihr herzlich willkommen.

7 Kommentare:

  1. Es sei denn, sie laufen zu fünft nebeneinander die Nassau Street runter. ;-)

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  2. Das ist in der Tat nervig, wird aber oft auch von Angehörigen unserer Gastgebernation verursacht. Da wollte ich schon lange mal einen Beitrag zu loslassen...

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  3. Irland hat sich in den USA ein Wahnsinnsmarketing gekauft. Die Werbung für Irlandbesuche ist echt anziehend. Außerdem zählt es bei uns als cool, ein bißchen irisch zu sein. "Deutsch sein" als Amerikaner ist nicht schlecht konnotiert, aber irgendwie ernst und fleißig.

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    1. Hallo Serv - sorry, hab mal wieder viel zu lange hier nicht reingeschaut. Ja, die Iren machen gerade eine Werbeoffensive in USA. Der Tourismus in Irland leidet seit der Wirtschaftskrise extrem. Kein Wunder, es ist hier ja auch unglaublich teuer - Essengehen, Unterkunft, Eintrittspreise. Da wird jetzt auf Teufel-komm-raus an die irischen Wurzeln der Amerikaner appelliert. Stichwort "The Gathering". Ich glaub, ich muss mal was über das "Deutsch-sein" im Ausland schreiben...

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  4. Nicole Brausen5. Juni 2013 um 17:48

    Hallo,
    ich war gestern im Konzert von Pigor & Eichhorn und musste an Dein Blog bzw. die letzten Beiträge denken, als das hörte:
    http://www.youtube.com/watch?v=5E7xeajSoyE&list=UUPipcgu0xhGHaxc9EvVnQIQ&index=6
    Naja, oder "Pigor + maulende Rentner" suchen :-) ist vielleicht einfacher ...

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    1. LOL - wie geil ist das denn? Pigor kannte ich nicht. Aber das, was er besingt, schon. Das ist der "Sound of Deutschland, maulende Rentner" - genial. Sollte jeder Ex-Pat jeden Tag mindestens einmal anhören! Und wer dann nicht lachen kann, wird sofort nach Deutschland ausgewiesen. Danke dafür!

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