Dienstag, 5. April 2011

Waltraud auf dem Küchentisch

Meine Krawallphase scheint wohl noch nicht vorüber zu sein, und da man mich von verschiedenen Seiten bereits bat, doch weiterhin in meinen Blogs kontrovers zu toben, nehme ich den potentiellen Leserverlust billigend in Kauf und wende mich heute einmal dem Thema "Sauberkeit und Ordnung" zu. Wie sage ich es nun diplomatisch? Irische Hygienestandards sind etwas "relaxter" als die deutschen. Diese Tatsache habe ich mit Begeisterung wahrgenommen, als ich mich mit Irland vertraut gemacht habe. Während man in deutschen Küchen in der Regel vom Fußboden essen kann, sollte man das in Irland tunlichst vermeiden. Auch was hier so als "aufgeräumt" gilt, wäre in Deutschland wohl eher ein Fall für die "Messie-Therapie". 

Für bekennende Schlampen wie mich natürlich ein Glücksfall. Da komme ich mit meiner Schwierigkeit, selbst auf meinem Schreibtisch nur einen Nachmittag lang Ordnung zu halten, immer noch sehr gut weg. Denn hier ist es so: Der Ire lebt nicht, um zu arbeiten sauber zu machen, sondern er macht höchstens sauber, um zu leben. Also nur dann, wenn es dringend nötig oder keine saubere Teetasse für den Nachmittagstee mehr verfügbar ist. Man kann sich sehr leicht an diesen wunderbaren flexiblen Umgang mit Hygiene und Sauberkeit anpassen. Es ist doch auch so praktisch, den Rest kalten Tee mit dem Teebeutel in die Spüle zu gießen - und erstmal liegen zu lassen. Oder die Krümelparade unter dem Küchentisch zu ignorieren, bis endlich wieder Besuch mit Hund kommt. Erstaunlich, wie schnell die Toleranzgrenze bei zunächst angeborener niedriger, deutscher Dreckschwelle sich an örtliche Sitten anpassen lässt!

Nur eine Kleinigkeit kann ich bis heute nicht leiden: Salami und Schinken aus der Plastikpackung im Kühlschrank. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder versucht, diesbezüglich in hiesige Umgangs- und Präsentationsformen aktueller Aufschnittkunst vorzupreschen. Ohne Erfolg. Dabei bin ich mit einem Tupperfuhrpark aus 40 Jahren deutscher Hausfrauengeschichte gesegnet - die pastellgelbe, eckige Aufschnittdose (wenn sie einen Namen hätte, dann wäre sie wahrscheinlich "Waltraud"), vermutlich selbes Baujahr wie ich, tut nach wie vor verlässlich und hygienisch ihren Dienst. Wenn man sie ließe. Aufschnitt gehört aus Hygienegründen nach dem Salamikauf aus der Verpackung entfernt und in einen keimfreien, wieder verschließbaren, sowie formschönen Behälter transferiert. Das hält das Fleisch frisch und macht sich ansehnlicher auf dem Abendbrottisch. Doch dank beharrlicher Resistenz des un-deutschen Gatten bleibt unser Küchentisch frei von Tupperdosen - er zieht es vor, wenn Aufschnitt in der Verpackung gelagert wird. Schmeckt dem Iren einfach besser, wenn der Schinken austrocknet und sich die Salamiränder so putzig wellen.

Nun ja, "win some, lose some", wie man hier so sagt. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich krieg zwar meinen Aufschnitt nicht aus der Tüte, dafür erwartet aber auch niemand eine antiseptisch gepflegte Küche von mir. - Außer meinen zahlreichen deutschen Freunden in Irland und Besuchern. *ähem* Ich gehe dann jetzt mal die Küche feudeln - für morgen haben sich meine Eltern angesagt. Da muss der Hygienestandard vorübergehend ein wenig angehoben werden...

8 Kommentare:

  1. Du kennst Leute, die von dir eine gefeudelte Küche erwarten? :-o (also außer deiner Ma) Wohnen die noch nicht lange hier? (Und meine Mortadella liegt auch schon wieder in der offenen Aldipackung im Kühlschrank. Das werd ich jetzt sofort ändern. Danke für die Inspiration! *G*)

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  2. Oho, da muss ich mich doch auch mal melden. Während meiner dreijährigen Exilzeit in Dublin habe ich genau das Gegenteil bei meinem Mitbewohner feststellen müssen. Ich bin ja schon ziemlich reinlich und ordentlich, so will ich es mal beschreiben, aber mein irischer Mitbewohner gab mir irgendwie immer wieder das Gefühl, dass ich doch nicht ganz seinen Reinheitsvorschriften entsprach. Kam ich zur Tür herein und brachte ein bisschen Sand oder ein Krümelchen Erde mit ins Haus, so holte er gleich den Staubsauger hervor und fing gründlichst an zu säubern. Wenn ich in der Küche gekocht hatte, hat er noch während ich beim Essen war, sämtliche Kochutensilien weggespült. Hallo - sollte ich erst spülen und somit mein Essen kalt werden lassen??? Fand er eine angebrochene Dose im Kühlschrank machte er mich höflich darauf aufmerksam, dass ich den restlichen Inhalt doch besser in eine Tupperdose (ja, er hatte einen ganzen Schrank voll damit)umfüllen sollte. Erstens gesünder, weil das Metall der Dose giftige Substanzen bildet, und dann auch wegen des Geruchs. Naja, dieser Zeitgenossen war schon sehr speziell und super penibel.
    Aber es gibt wohl solche und solche Iren;)

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  3. Hatte der OCD? Anders ist das eigentlich nicht zu erklären.

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  4. Hehe, ja, ich habe noch ein paar Freundinnen, die deutsche Sauberkeitsstandards vorziehen.
    Und Sabrina - das ist wahrscheinlich die Ausnahme, die die Regel bestätigt!

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  5. Was mir mal aufgefallen ist: Wenn man hier (ich meine: in Deutschland) wo zu Besuch kommt, sagt die "Gastgeberin" immer irgendwas Entschuldigendes zum Zustand der Wohnung, gleich nach "Hallo" oder noch davor. Der Gipfel: wir waren am 2. JANUAR zu einem 2. Geburtstag eingeladen, und während bei uns noch das Geschenkpapier von Weihnachten rumlag, sagte die Mutter - die übrigens schon die zweite Kinderparty innerhalb von zwei Tagen schmiss - sowas wie "Sorry, Leute, ich bin noch nicht zum FENSTERputzen gekommen, die Weihnachtsdeko klebt hier noch an den Scheiben." Und die ist eigentlich - nett, sowieso, aber naja, eigentlich - ganz normal ... vielleicht waren es einfach zuviele Kinderparties so direkt nach Silvester...
    Ich habe mir jetzt eine Postkarte gekauft: "Ein aufgeräumtes Haus ist ein Zeichen für ein vergeudetes Leben".

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  6. Klasse Geschichte, Nicole. Symptomatisch für Deutschland? Und wo hängt die Postkarte? Schon gleich an der Eingangstür? Ich halte es da ja gerne mit dem alten Spruch: "Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos" :-)

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  7. Nun ... ich wollte die Postkarte ja gleich an die Eingangstür hängen, aber da die Vermieter mit im Haus wohnen und ab zu hoch kommen, wenn was ist, fand ich das ein bisschen - naja, ZU ehrlich ... irgendwie ...

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  8. The trick is to find the right balance between enough dirt and choas to be happy and sufficient cleanliness to stay healthy!

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