Montag, 15. Oktober 2012

Zwei Herzen schlagen in meiner Brust...

Normalerweise würde mich nichts in der Welt dazu hinreißen, auf der Basis von Blut, Sprache oder Grenzverlauf Loyalitäten öffentlich zu bekunden. Nationalismus ist mir zuwider - und auf Grund von jahrelangen Exillebens auch längst in seiner latentesten Form abhanden gekommen. Nur in einem Zusammenhang kann ich alte Loyalitäten nicht abschalten: wenn es um das runde Leder auf grünem Rasen geht. Und so war ich doppelt erfreut, als es mir gelang, zwei Karten für das WM-Qualifikationsspiel Deutschland - Irland im heimischen Aviva Stadion zu erwerben. Einmal die deutsche Nationalmannschaft live spielen sehen - und meinen fußballverrückten Sohn dazu einladen. Das war das ursprüngliche Vorhaben. Nur dass mir schon bald ein Haken bei meinem Plan auffiel: Während mich persönlich nichts  - auch nicht ein Sitzplatz außerhalb der deutschen Fanränge inmitten feindlicher Anhänger - davon abhalten würde, für Jogi Löws Truppe zu jubeln, würde die deutsche Mutter den sich mittlerweile als Iren selbst bezeichnenden Sohn vermutlich nicht nur irritieren, sondern auch peinlich berühren. Das war der Grund, warum ich meinen Sitzplatz an den irischen Kindsvater abtrat und die beiden Männer am vergangenen Freitag ins Stadion entließ, um selber von der heimischen Couch aus das Match am HD-kompatiblen LED Bildschirm mitzuverfolgen.

Boys in green vs Schland. Immer eine schöne Partie, die in der Regel wohlige Gefühle für deutsche Fußballfans aufkommen lässt - trotz wechselnder Form ein normalerweise bezwingbarer Gegner für die deutsche Fußballmannschaft bei unterhaltsamer tapferer Gegenwehr der nicht völlig hoffnungslos unterlegenen Iren. Denn das Schöne am Fußball ist doch seine Unberechenbarkeit: Wer will schon ein Topklassenteam gegen San Marino spielen sehen - da ist ja schon von vornherein klar, wer am Ende die Bälle aus dem Netz fischen muss und einzig und allein eine Frage bleibt offen: Wie viele Tore verwandelt heute der deutsche Torwart selbst?

Nein, die Iren sind eine Kämpfernation. Nach 800 Jahren Unterdrückung und winterlicher Abhärtung dank unbemützter Ausfahrten im Kinderwagen ein Volk zäher, schneidiger, aggressiver Draufgänger. Kurz - für eine Überraschung gut.

Allerdings hatte die Überraschung am vergangenen Freitag dann schon fast Herzinfarktpotential. Es fing ja alles normal an. Hier das Protokoll eines Fußballabends:

Sturm aufs irische Tor, deutscher Spieler im Strafraum gefoult. Kurzsichtiger Schiedsrichter gibt gelbe Karte gegen den Gefoulten (!). "Schiedsrichter - Telefon!!" Im Gegenkonter ballert Reus zwei Minuten später das Leder ins Tor. 1:0.
"Super, das ist die Revanche für das Foul. Recht geschieht's euch, Irland!"
Die Deutschen spielen beflügelt und drängen weiter auf die Iren ein. 40. Minute: Reus trifft zum zweiten Mal.
"Tooooor! Klasse Mensch, das läuft ja heute gut. Schade, dass ich nicht im Stadion bin. Mensch, da ist sicher dolle Stimmung."
Halbzeit - Teezeit.
Wechselplänkeleien auf beiden Seiten. Bisher haben die Iren noch nichts aufregendes gezeigt, und das irische Kritiker-Trio im Studio war angesichts der unkoordinierten Spielweise der irischen Mannschaft auch nicht gerade erfreut. Der deutsche Fan sitzt gemütlich zurückgelehnt auf dem Sofa.
Moment, was war das? Foul Foul FOUL! Özil im Strafraum gefoult. Der Schiedsrichter muss in der Halbzeit wohl die Kontaktlinsen gewechselt haben - jetzt gibt's Elfmeter. BOOOOOM. Drin.
"Klasse, das war's. Jetzt kann man richtig genießen, mit drei Toren Vorsprung ist hier eigentlich alles gelaufen, verlieren werden die Deutschen nicht mehr. "Schöööön, so ein Spiel."
BANG. Drei Minuten später knallt Klose den Ball zum 4:0 ins Netz.
"Jut, Leute, bravo. Alles klar. Das Spiel haben wir in der Tasche. Jetzt reicht es dann auch."
SMS von einem deutschen Freund aus dem Stadion: "Wird langsam bitter!"
Genau mein Gedanke. Jetzt find ich's nicht mehr schön.
Die irische Mannschaft spielt nicht mehr mit. Steht nur noch rum.
62. Spielminute: 5:0! Status Update Facebook: "Ok, das reicht jetzt. Hört auf, Deutschland!"
Und irgendwie hat man fast das Gefühl, als sei es den Deutschen tatsächlich peinlich, noch weiter aufs Tor zu stürmen. Stattdessen machen die Deutschen Trainingslager-Kreisspiele um sich warm zu halten. Trotzdem in der 83. Minute 6:0.
Mir ist der Spaß vergangen. Ich kann jetzt nur noch hoffen, dass die mittlerweile wie begossene Pudel nur noch leidenschaftlos auf dem grünen Rasen umherirrenden Iren wenigstens einen Ehrentreffer in den Kasten setzen. Ganz ohne Gegenwehr zu gewinnen macht eben keinen Spaß (s. San Marino). Und auch dafür rennt ihnen fast die Zeit weg - in der 90. Minute gelingt ihnen der Treffer.

Was für ein grauenhaftes Spiel. So richtig kann ich mich nicht mal über den Sieg freuen, denn jetzt stellt sich heraus, dass die Loyalitäten doch nicht so deutlich verteilt sind. Zwar hat die deutsche Mannschaft gewonnen - aber dafür wurde die irische Mannschaft auch (zwar nicht grundlos! aber dennoch) gedemütigt.
Es schlagen wohl doch zwei Herzen in meiner Brust. Gewinnen darf Deutschland gerne gegen Irland - aber bitte verletzt nicht ihre Ehre völlig!

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