Montag, 13. Februar 2012

Duziesiezie

Das Sie stirbt aus. Jedenfalls in meinem Wortschatz. Je länger ich mich im englischsprachigen Umfeld aufhalte, desto schwieriger wird es für mich, die korrekte Anredeform zu benutzen. Das stelle ich in letzter Zeit immer wieder fest. Oder liegt es daran, dass ich älter werde?

Lang vorbei sind die Zeiten, in denen ich selbst, obwohl längst volljährig, immer noch von ausgewählten Friseusen, Deutsche-Bahn-Fahrkartenverkäufern und Arzthelferinnen wohlwollend mit dem herablassenden "du" angesprochen wurde. "Wo willst du denn hinfahren, Kleine?" Nicht, dass mich das damals, mit Anfang 20, wirklich störte. Aber es fiel mir auf. Immerhin, ewige Optimistin, die ich bin, war das ja dann wohl der Beweis dafür, dass ich außerordentlich jugendlich-frisch wirke, ganz im Gegensatz zu den wirklichen Jahren, die ich bereits auf dem Buckel hatte. In letzter Zeit passiert mir das eher selten. Da liegt der Schluss nahe, dass ich langsam doch so alt aussehe, wie ich bin. *schluck*

Nun ist das im englischsprachigen Ausland dann eher kein alltäglich auftretendes Problem. Obwohl es auch im Englischen einmal ein "Sie" gegeben hat, wird die formelle Anrede "thou" dann heutzutage doch nicht mehr benutzt. Nicht mal die Queen kommt ohne das vertrauliche "you" weg. Da befindet man sich ja dann in guter Gesellschaft. Und wird gleichzeitig für die eigene Muttersprache verhunzt.

Sonja akquiriert einen neuen Auftrag und muss dazu einen Geschäftskontakt anschreiben. Bekannter einer Freundin. Vorname bekannt. Nachname auch. Alter ungefähr wie ich. Und nu? "Lieber B___. Ich hörte, dass du jemanden suchst, der..." Nee, das ist ja wohl zu leger-vertraulich. Also besser "Sehr geehrter Herr S___. Von meiner Freundin T___ hörte ich, dass Sie..." *grah* Wie distanziert klingt das denn??? Da fühlt man sich ja schon beim Schreiben um circa vier Jahrzehnte gealtert.

Fakt ist: Ich bin aus der Übung. Wenn man das "Sie" nicht jeden Tag um sich hat, fällt einem das blitzschnelle, natürliche Anreden einfach nicht mehr leicht. Gelegentliche Treffen mit deutschen Kulturträgern a la Joachim Lux, den ich vor einigen Monaten bei einem Theaterempfang traf und locker vom ersten Moment an duzte (in völliger Verkennung seines Status') machen das nicht wett, zudem Künstler bekanntermaßen ja sowieso lockere Zeitgenossen sind und dem vertraulich-jugendlichen "du" aufgeschlossen gegenüberstehen. Und ich gehe ja nun auch nicht jeden Tag auf einen Empfang der deutschen Botschaft, um mich da in deutscher Konversation zu üben. Vielleicht sollte ich rigoros umstellen, mir einen irischen Akzent zulegen, gebrochenes Deutsch sprechen und frisch, fröhlich, frei alles um mich nurmehr mit "du" zu betiteln. Bei den Kindern klappt das gut - und keiner stört sich dran...

3 Kommentare:

  1. Das kann ich gut verstehen, obwohl ich nicht Englisch als Hauptsprache habe. Ich bin auch oft in der Zwickmühle, sieze ich jetzt den Nachhilfelehrer (den ich bis letzte Woche nur mit Vornamen kenne) oder duze ich ihn (ist er doch gerade mal junger Student)? Ich gehe dann den Mittelweg, Vorname und Sie, das klappt meistens. Aber vom Bauchgefühl bin ich eher ein Duzer als ein Siezer und hätte gerne nur eine Form, wie im Englischen. Aber ich stelle mir Dich mit irischem Akzent und gebrochenem Deutsch auch sehr nett vor.... :-)
    Liebe Grüße
    Biggi

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  2. Ein Hoch auf das "you"! Hier ist der anglo-hiberne Weg doch wesentlich angenehmer als der deutsche... Zumal ich mit dem "Du" ja eh weniger Probleme habe als der "Durchschnitts-Deutsche"...

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  3. Ich nehme mal an, dass sich die Sprache ohnehin dahin entwickeln wird, Tom. Das Sie wird irgendwann auch aus dem deutschen Sprachschatz entfernt sein. Reflektiert eine zunehmende Gemütlichkeit der Sprecher. Öhm.

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